■ Der kalte Putsch Guatemalas vom Militär gewendet?: Schritte in die richtige Richtung
Ein Schritt zurück, zwei Schritte voran. So sehen hier viele die Bilanz des verunglückten Abenteuers von Präsident Jorge Serrano. Nach einer Woche diktatorischer Herrschaft wurde der Herr Präsident ins Exil geschickt. Zurück bleibt nicht die simple Restauration des Status quo ante, sondern die Erkenntnis, daß auch die von Serrano aufgelösten Institutionen – der Kongreß, der Oberste Gerichtshof und der Verfassungsgerichtshof – einen Teil der Schuld an der Krise tragen. Viele Funktionäre und Abgeordnete hatten ihr Amt einfach als Mittel zur persönlichen Bereicherung mißverstanden. Und das, will man den Beteuerungen der Parlamentarier Glauben schenken, soll sich jetzt ändern. Die Säuberung von den korruptesten Elementen ist eine Konsequenz der Krise, die am Dienstag während den Verhandlungen postuliert wurde. Neuwahlen hält keiner für opportun, da das Ansehen der Parteien so angeschlagen ist, daß mit extrem niedriger Wahlbeteiligung zu rechnen wäre. Die geringe Legitimität eines daraus hervorgehenden Parlaments würde die Krise noch verschärfen.
Eine Lösung zu finden, die nicht nur von der Verfassung gedeckt ist, sondern auch von den ungeduldig gewordenen Repräsentanten der Zivilgesellschaft akzeptiert würde, war nicht so einfach. Denn die Krise ist nicht nur ein Produkt der Korruption im Parlament oder der diktatorischen Gelüste des abgesetzten Präsidenten – es ist eine Krise des Systems überhaupt, das den Großteil der Bevölkerung vom politischen Geschehen ausschließt. Nicht nur die indianischen Bauern im Hochland, die die Ereignisse kaum registrierten oder mit großer Gleichmut zur Kenntnis nahmen, auch die mutiger werdenden Gewerkschaften und Volksorganisationen haben keinen Platz darin. Die Macht in Guatemala ruht nach wie vor auf den Schultern der Wirtschaftsbosse und der Armee. Da eine offene Militärherrschaft international nicht mehr goutiert wird, setzte Diktator Mejia Victores vor zehn Jahren eine Rückkehr zum formaldemokratischen System in Gang. Dessen Glaubwürdigkeit ist aber nach sieben Jahren Zivilregierung zerstört. Durch den Friedensnobelpreis an Rigoberta Menchu haben jetzt jene Kräfte Auftrieb bekommen, die ein partizipatives Modell verfechten und dem indianischen, gemeinschaftsorientierten Denken der Bevölkerungsmehrheit zum Durchbruch verhelfen wollen. Davon ist Guatemala noch weit entfernt. Aber immerhin konnte es sich die Armee nicht mehr leisten, sich in der Krise als Retter der Nation aufzuspielen. Deswegen ist Guatemala heute der Demokratie einen Schritt näher als vor Serranos Ausrasten. Ralf Leonhard, Guatemala-City
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