piwik no script img

■ DamalsDer ignorierte Weltrekord

Vor zwanzig Jahren, am 12. September 1976, gelang dem DDR-Leichtathleten Rolf Oesterreich eine sensationelle Leistung. Bei den Bezirksmeisterschaften im sächsischen Zschopau gewann er das Kugelstoßen mit einer Weite von 22,12 Metern – damals Weltrekord. „Ich war so freudig erregt, daß ich über ein Fußballtor hätte springen können“, blickt der heute 46jährige zurück. Doch die DDR-Sportbürokratie schwieg den Rekord tot, wenig später wurde Oesterreich von der Qualifikation für die Europameisterschaft ausgeschlossen. „Möglicherweise wurde mir übelgenommen, daß ich mich öfters kritisch zu politischen Vorgängen geäußert habe“, spekuliert Oesterreich. Weder in der überregionalen Presse noch in den offiziellen Bestenlisten war von den 22,11 Metern zu lesen. Niemand vom Verband meldet sich bei dem Kugelstoßer aus Karl-Marx- Stadt und gratulierte. Oesterreich war wütend und enttäuscht. Doch er wagte es nicht, bei der DDR-Sportbürokratie zu protestieren. „Sonst wäre ich abgeholt und inhaftiert worden“, ist er heute noch überzeugt.

Etwa ein Jahr später schrieb er dann aber doch einen Protestbrief an den Leichtathletikverband. Die Antwort: Die Kugel sei nicht in Ordnung gewesen. Seiner Erinnerung nach habe auch die Anlage Mängel aufgewiesen, sagte Herbert Bernhardt, damals Chef des Leichtathletik-Bezirks Karl- Marx-Stadt, heute Vorsitzender des sächsischen DLV- Landesverbandes. Augenzeugen bestreiten dies.

Rolf Oesterreich, der verfemte Athlet Foto: taz-Archiv

Udo Beyer – im Jahre 1976 Kugelstoß-Olympiasieger für die DDR – ist davon überzeugt, daß Funktionäre den Aufstieg Oesterreichs ganz bewußt verhindert haben. „Es paßte damals nicht ins System, daß ein solcher Sportler nach oben kommt.“ Ein Aufstieg außerhalb der durchorganisierten DDR- Medaillenproduktion sei praktisch unmöglich gewesen. „Außenseiter mußten irgendwie nach unten gedrückt werden“, sagt Beyer.

Oesterreich hat fast 20 Jahre lang vergeblich für seine Sache gekämpft. „Ich wurde nie rehabilitiert, der Verband hat sich nicht einmal bei mir entschuldigt“, zieht er ein bitteres Fazit. Helmut Kustermann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen