■ Der „heilige Krieg“ um Berliner Schulen : Schüttelt den Staub von euren Füßen
betr.: „Vom Wert des Glaubens“ von Bettina Gaus, taz vom 15. 4. 05
Immer wieder lese ich, auch in Ihrem Blatt, dass die christliche Religion und christliche Moralvorstellungen auch für Nichtchristen in der Bildung ihres Wertesystems von hohem Belang ist. Dem kann ich selbstverständlich nicht zustimmen. Es gibt keinen einheitlichen Wertekanon und keine einheitliche Überlieferung unter den christlichen Religionen, und dadurch kann es keinen einheitlichen Einfluss geben. Bei genauerer Betrachtung kann es das einzige, richtige Christentum nicht geben, zu groß sind die Unterschiede der verschiedenen christlichen Spielarten: Das fängt beim Gottesbild an und hört bei bestimmten Verhaltensweisen auf.
Selbstverständlich wird man Kunst teilweise, wenn beispielsweise die Passion des HErrn dargestellt wird, nicht ohne Kenntnisse über den Katholizismus verstehen, aber die meisten der uns heute so teuren Werte sind keine christlichen: Gleichheit von Mann und Frau, Gleichheit vor dem Gesetz, Demokratie und Selbstbestimmung, Freiheit der Überzeugung etc. Deshalb ist es nicht dasselbe, was in einem Werteunterricht Schülern gelehrt wird oder in einem religiös gefärbten. Wo ist der sittliche Nährwert von Abraham und Sarah? Etwa darin, dass eine alternde Frau resignativ ihrem Mann ihre Magd zum Beschlafen unterschiebt? Oder das Kainsmal? Dass eine übergeordnete Instanz schon für Gerechtigkeit sorgt und den Täter unwiderruflich als unsozialisierbar brandmarkt? Sollen das unsere Kinder lernen, oder sollen sie gerade daraus lernen, dass unsere modernen Werte eher für uns zählen? Sollen unsere Kinder das Christentum und andere Religionen lernen, um zu begreifen, dass eine gewisse Indifferenz und Toleranz im Alltag angebracht sind?
Wenn der Religionsunterricht so wirksam wäre, warum sind dann die Kirchen so leer? Warum sollten wir erlauben, dass Klerikale die Werbetrommel rühren vor staatlichem Hintergrund unter staatlicher Bezahlung? HENDRIK HELMS, Mühltal
Dass die Missionierung nicht so einfach ist, wird schon in der Bibel dokumentiert. „Wenn man euch aber in einem Ort nicht aufnimmt und euch nicht hören will, dann geht weiter und schüttelt den Staub von euren Füßen, zum Zeugnis gegen sie.“ (Mk 6,11) Also hat es wohl wenig mit dem Glauben desjenigen zu tun, der diesen vermitteln will, wenn andere diesen Glauben nicht annehmen wollen. Deswegen ist die Aussage, dass Glauben nur von dem vermittelt werden kann, der auch glaubt, eigentlich nicht folgerichtig.
Zudem wird mit dem Glauben, so wie es in der Bibelstelle ausgesagt wird, auch eine Intoleranz gegenüber anderen gefördert. Denn wer den Staub von den Füßen schüttelt, um gegen diese Ungläubigen zu sprechen, zeigt nicht die Bereitschaft zu Verständnis und Mitmenschlichkeit. Deshalb wäre es angebrachter, die Werte der einzelnen Religionen gegenüberzustellen, aufgrund einer analytischen Basis. Verständnis gegenüber anderen kann man nur vermitteln, indem man Vorurteile abbaut. Dieses wird am besten mit dem Wissen über andere Religionen, über andere Werte, vermittelt. Dazu bedarf es nicht eines eigenen Glaubens. ELLEN KÜHL-MURGES, Hellenthal
Wenn Frau Gaus meint, Religion sei als Sachthema fachlich ohne konfessionelles Glaubensbekenntnis der Lehrkraft prinzipiell nicht vermittelbar, dann möge sie doch bitte auch konsequent sein. Dann darf es neben den theologischen Fakultäten nicht nur keine Religionswissenschaftliche mehr geben; in den öffentlichen Schulen sei fürderhin allgemeiner Politikunterricht verpönt, stattdessen soll es nur noch verschiedene Politikunterrichte geben – nach Parteibuchfarben strickt getrennt.
Lehrerin Greena Veridis wird dann von Bündnis 90/Die Grünen die Lehrerlaubnis entzogen, wenn sie statt mit dem Fahrrad mit dem Auto zur Schule fährt, um Grünen-Politikunterricht zu erteilen. Blacky Dimpfelmoser hingegen muss die Lehrerlaubnis für CSU-Politikunterricht zurückgeben, wenn er sich zu seiner Gegnerschaft bezüglich Atomkraft bekennt. Frau Gaus, Sie führen die deutsche Bildungspolitik herrlichen Zeiten entgegen! RUDOLF LADWIG, Hagen
Es erscheint befremdlich, dass angeblich gleichzeitig „ein wachsender Prozentsatz der Deutschen (…) nicht einmal mehr die Bedeutung von Ostern“ kennt und gleichzeitig konfessionell gehaltener Religionsunterricht, der genau diese Menschen gebildet hat, angeblich die christlichen Grundlagen der westlichen Kultur vermittelt. Dieser Unterricht scheint offenbar zu versagen.
Nebenbei wird in Seminaren und Unterrichtsstunden an deutschen Universitäten bzw. Schulen über fremde Religionen gesprochen, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass die Kerninhalte durch nicht der entsprechenden Religion angehörige Lehrende angeblich nicht vermittelt werden können. Dies zeigt aber auch, dass man durchaus Interesse und Freude an der Vermittlung von fremden Religionen haben kann. Ein neuer, für alle verpflichtender Religions- oder Werteunterricht jenseits des „Sintflut, Aids und Freundschaft“ und „Philosophie war mir zu abgefahren“-Unterrichts in Mittel- und Unter- bzw. Oberstufe wird gebraucht. Für eine bessere Kenntnis der christlichen Kultur, aber auch zum Kennen- und Verstehenlernen der anderen Religionen. NILS HASENBEIN, Bielefeld
betr.: „Werte auf dem Sonderweg“ von Ralph Bollmann, taz vom 14. 4. 05
Ich verstehe die ganze Aufregung nicht: Wenn jemand am Religionsunterricht teilnehmen will, kann er das doch weiterhin tun. Da sowieso nur ein Viertel (!) der SchülerInnen an den weiterführenden Schulen an einem Religionsunterricht teilnimmt, halte ich es sogar für sehr sinnvoll, einen Unterricht einzuführen, der allen SchülerInnen etwas über die Religionen vermittelt, um dadurch die Toleranz gegenüber fremden Kulturen und Religionen etwas zu erhöhen. Außerdem ist es ja auch nicht völlig ausgeschlossen, dass vielleicht bei einigen SchülerInnen durch diesen Unterricht das Interesse an der Religion geweckt wird. Sicherlich profitieren die SchülerInnen mehr von einem solchen Unterricht als von einem Religionsunterricht, der schließlich ganz von der Person des/der Unterrichtenden abhängt. HELGA SCHNEIDER-LUDORFF, Oberursel
Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.