: Der große Stasi-Film
DAS SCHLAGLOCH von MICHAEL RUTSCHKY
Der Streit um die Veröffentlichung eines Buches über die Stasi-Westarbeit verschärft sich. Die Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, hat am Wochenende neue Bedenken gegen das vom Berliner Historiker Hubertus Knabe geplante Buch über den Einfluss der DDR-Staatssicherheit auf westdeutsche Medien angemeldet. Sie schickte Knabe, der früher selbst Mitarbeiter der Behörde war ...Der Tagesspiegel, 23. 4. 2001
So gern schauen wir ja die Filme an, die Hollywood mit Mafiastoffen dreht. Dass „The Godfather“ – und zwar in allen drei Teilen, jawoll – es mit Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ aufnimmt, hat unser alter Freund Kurt Scheel („der Ratzinger der Hollywood-Orthodoxie“) sogar schon schriftlich verkündet.
Neuerdings erfreuen uns „The Sopranos“ im ZDF und auf Video. Während „Der Pate“ Shakespeare ist, erkläre ich großformatig den Proselyten, handelt es sich bei den „Sopranos“ um Molière.
Dabei steht außer Frage, dass es um Verbrechen, Mord, Brutalstgeschäfte geht. Keineswegs bekennen wir uns, wenn wir den Mafiafilmen mit Anteilnahme folgen – nicht zu vergessen: „Goodfellas“ und „Casino“ von Martin Scorsese –, rückhaltlos zum Betriebszweck.
Doch entstand darüber immer wieder eine Diskussion: ob es dereinst auch über Stasi-Stoffe solche Filme zu sehen geben werde, denen man mit dieser Anteilnahme folgt. Wenn der Betriebszweck restlos der Vergessenheit anheim gefallen ist und das Projekt des Realsozialismus nur noch zum Kopfschütteln Anlass gibt, womöglich zu freundlicher Nachsicht. Warum dann keine Stasi-Filme als großes Kino oder Fernsehserie?
Weil es positiv um den Staat ging, sagt unsere Freundin Jutta, um die gerechtfertigte politische Ordnung, die nur noch zu schützen ist gegen innere Feinde – und jeder Zuschauer stünde sofort auf der Seite dieser Feinde. Erich Mielke war stets ohne jeden romantischen Schimmer; nie hätte er vom jungen Robert De Niro gespielt werden können. Das sinnlos-pedantische Anhäufen von Geheimakten lässt sich einfach nicht als großes Verbrechen inszenieren. Ein Äquivalent zu dem Massenmord, den Michael Corleone an seinen Feinden verüben lässt, während er dem Baby seiner Schwester als Taufpate dient und stellvertretend dem Teufel abschwört – so etwas ist auch mit dem jugendlich-ansehnlichen Markus Wolf unvorstellbar. So weit Jutta.
Da sind wir nun mitten in äußerst kniffligen ästhetischen Fragen. Denn dass die Stasi, vor allem in ihren letzten Jahren, relativ harmlos gewesen zu sein scheint im Vergleich zum Corleone-Clan, spricht doch für sie. Den von Michael befohlenen Massenmord anzuschauen, fällt schwer, eine von dem Film beabsichtigte Schwierigkeit. Bekanntlich beginnt Michael seine kriminelle Karriere mit dem eigenhändigen Mord an einem (korrupten) Polizisten und dem Rauschgiftgangster Solozzo. Erich Mielke wurde noch als alter Mann für einen eigenhändigen Mord an einem Polizisten der Weimarer Republik verurteilt. Ich erinnere mich an ein Foto des finsteren jungen Arbeiterrevolutionärs, das einen Casting-Agenten schon auf Ideen brächte ...
Aber dabei handelt es sich um Vorgänge inmitten der Wirklichkeit, beginnt Jutta sich zu empören. Mielke hat den Polizisten wirklich erschossen. Dagegen stellt die Familie Corleone (oder Soprano) samt ihrer Verbrechen ein Erfindung dar, über deren Beziehungen zur Realität der Mafia der Zuschauer sich gar keine Gedanken machen möchte. Während ihm die Stasi vor allem als Realität präsent ist; die er im Rahmen einer Filmhandlung fortlaufend ausblenden müsste – was keinerlei ästhetisches Vergnügen bereitet.
Das, muss ich erwidern, ist bloß eine Frage der Zeit. Der Lauf der Begebenheiten wird die Realität der Stasi verblassen machen; wer genau Mielke war und wer Markus Wolf, weckt im Filmzuschauer dann kein Interesse mehr. Die Hauptpersonen stellen unverrechenbare Mischfiguren. „The Godfather“ war im ersten und im zweiten Teil ja ein historischer Film, den wenig mit der Realität der Siebzigerjahre verknüpfte.
Im Übrigen könnte ich auf Horst Königstein verweisen, der schon mal versucht habe, einen romantischen Stasi-Film zu drehen, „Der Mann im schwarzen Mantel“, wenn ich mich richtig erinnere, die Geschichte Ibrahim Böhmes, der gleichzeitig Rebell und Stasi-Mitarbeiter zu sein versuchte. In dieser Hinsicht, fahre ich fort, wird der große Stasi-Film auch Karrieren wie die von Sascha Anderson zu verwerten wissen, ebenfalls Rebell und Informant. Wenn das Personal des Apparats für das Drehbuch nichts hergibt – lauter graue alte Kleinbürger –, bedienen wir uns halt bei der Boheme.
Und wahrscheinlich, triumphiert Jutta (opportunistisch), hat man Sascha Anderson in 20 Jahren wirklich so gründlich vergessen, dass kein Zuschauer merkt, wie eng der Film sich an seine Lebensgeschichte hielt.
Um auf den Staat zurückzukommen, musste ich fortsetzen, dessen geheimdienstliche Absicherung ohne romantischen Gehalt sei: So sahen sich die Stasi-Leute selbst natürlich nicht. Der Staat des Sozialismus war ja fortlaufend in schwerer Gefahr; so wie das Familienimperium der Corleones und der Sopranos dauernd von seinen Feinden – und dem Staat – belagert wird.
Vielleicht führt einfach die Stasi als Stoff in die Irre, gibt Jutta zu bedenken. Vielleicht sollte man die gesamte Geschichte des organisierten Kommunismus berücksichtigen; meinetwegen sogar die frühe DDR – obwohl es mir wirklich schwer fiele, die Rolle Walter Ulbrichts sympathisch zu besetzen. Immerhin hat Heinrich Breloer für den kommunistischen Herbert Wehner Ulrich Tukur eingesetzt und konnte sogar die Schreckenszeit in Moskau, das Leben im Hotel Lux, verständlich machen, das Ulrich Tukur keineswegs als Schiller’scher Held besteht: ganz im Gegenteil.
Damit sind wir wieder beim Lauf der Dinge, muss ich fortsetzen. Ulrich Tukur inmitten der Stalin-Ära liegt uns so fern, dass wir es wie eine erfundende Geschichte anschauen können. Sogar die Siebzigerjahre – im ersten Teil von Breloers Wehner-Film – mit Brandt und Schmidt und Wehner als Fraktionsvorsitzendem, liegen so weit entfernt, dass sie wie erfunden scheinen. Apropos: Warum waren denn Breloers „Todesspiel“ (und auch der „Stammheim“-Film von Reinhard Hauff) anschaubar, lehrreich? Gerechtigkeit für Mielke und Markus Wolf als Filmfiguren muss ich da fordern. Jetzt noch nicht, klar, jetzt keineswegs, aber in 20 Jahren.
Wir sind wieder am Anfang, resigniert Jutta. Andreas Baader kannst du immer noch als Rebellen gegen das positive Ganze inszenieren, was auch immer er im Einzelnen Schlimmes angerichtet hat. Außerdem – und das darf man für die Eignung von Stoffen keinesfalls unterschätzen – hat er sich selbst entleibt, wie der klassische Feldherr nach der verlorenen Schlacht. Vielleicht liegt genau hier das Problem des großen Stasi-Films: Irgendein hoher Funktionär hätte, als die Sache erkennbar anfing schief zu gehen, expressiv Selbstmord begehen müssen. Das hätte ihm eine große Zukunft als Filmheld gesichert.
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