: Der gefährliche Retter
Das Kunststoff-Recycling-Zentrum in Moabit forscht für die Umwelt / Kritiker sehen in der Plastik-Produktion keine langfristige Lösung ■ von Ursula Dohme
„Eigentlich sollten wir die Jetztzeit Plastikzeit nennen. Kunststoffe finden zwar erst seit 35 Jahren in größerem Maßstab Anwendung, aber sie sind einfach maßgeblich.“ Daniel Stricker, der Geschäftsführer des in Moabit ansässigen Kunststoff-Recycling-Zentrums, glaubt, daß die Entwicklung auf diesem Gebiet „noch regelrechte Quantensprünge“ machen könne.
Der Magister der Philosophie gibt zu bedenken, daß selbst Chemiker von der Komplexität und der unüberschaubaren Vielzahl der Möglichkeiten immer wieder erstaunt sind und noch viel zu wenig in dieser Richtung geforscht wird. „Gerade mal vier Chemieprofessoren – davon eigentlich nur zwei speziell für dieses Fachgebiet – sind an der Technischen Universität Berlin mit Kunststoffen gut vertraut. In anderen Bereichen gibt es beispielsweise über zwanzig Professuren.“ Stricker ist regelrecht entsetzt über dieses Zahlenverhältnis angesichts des seiner Meinung nach brachliegenden Innovationspotentials.
Das Kunststoff-Recycling-Zentrum, als sogenanntes An-Institut der TU angegliedert, soll in Kunststofforschung Pionierarbeit leisten. Hervorgegangen ist es 1993 aus dem Kunststofftechnikum mit dem Anliegen, industrie- und gewerbenah Ökologie und Ökonomie unter einen Hut zu bringen. „Knapp zwei Dutzend Patente konnten wir bereits anmelden“, freut sich Stricker. Bei Diplomanden und Doktoranden sei das Moabiter Zentrum sehr beliebt. Eine Innovation von vielen: der Urinbeutel, der nur noch aus drei – und noch dazu gut zu trennenden – Komponenten besteht statt wie bisher aus siebzehn verschiedenen Verbundstoffen.
In Deutschland werden jährlich weit über eine Milliarde CDs produziert, und davon sind um die zehn Prozent Ausschuß, hinzu kommen Ladenhüter und beschlagnahmte Raubkopien, die alle auf ein Recyclingverfahren warten. Die Moabiter setzten hier, wie auch sonst oft, ein Löseverfahren ein, das sie als „sanftes Recycling“ bezeichnen. Mittels kurzem Laugenbad wird der Polycarbonat- Kern von seiner Aluminiumhaut und der darüberliegenden Lackschicht befreit. Allerdings können nur die wenigsten Polycarbonat- Scheiben wieder zum Ton- oder Datenträger werden. „Da sollte man besser Transcycling sagen, statt Recycling“ sinniert Thomas Bliß vom Institut für ökologisches Recycling. „Denn es wird ja ein neuer Kreislauf eröffnet. Die CD wird vielleicht zur Lärmschutzwand oder zur Parkbank. Echte Recyclate müßten in denselben Kreislauf zurückkehren. Aber meist entstehen minderwertige Trennprodukte.“ Dementsprechend gebe es auch den Begriff Downcycling dafür.
Dagmar Giese, Doktorandin am Kunststoff-Recycling-Zentrum, möchte diesen strengen Maßstäben gerecht werden: „Meine Entwicklung beruht auf dem Grundgedanken, daß viele Farben oder Lacke nichts anderes sind als in Lösung aufbewahrte Kunststoffe. Erst nach dem Auftragen sollen sich die Lösungsmittel verflüchtigen.“ Sie verkürzt das Verfahren, indem sie nach dem Trennen und Lösen des einen Kunststoffs andere Werkstücke damit farbig beschichtet. Besonders in der Großproduktion könnten so mehrere Arbeitsschritte eingespart werden.
Besonders stolz ist man hier auf das Recycling von Kupferkabeln, die mit Polyvinylchlorid (PVC) ummantelt sind. Mußten diese bisher mühevoll mechanisch aufbereitet werden, so ermöglicht die Lösetechnik jetzt einen effizienteren Zugriff. Die Kabel werden in ein halogenfreies, ebenfalls recycelbares Lösemittel eingeweicht. Das PVC quillt auf und gibt die Kupferstränge problemlos frei, beide Materialien lassen sich dann in den Kreislauf zurückführen. Manfred Krautter vom Greenpeace-Bereich Chlorchemie ist damit jedoch nicht glücklich zu machen. Oberstes Ziel sei die Vermeidung des umweltschädigenden PVCs, insbesondere als Kabelummantelung.
„Diese Funktion kann das PVC nämlich nur durch Beimischung diverser giftiger Stoffe erfüllen.“ Im Brandfall werden Salzsäure und Dioxine freigesetzt, die sehr hohe Sanierungskosten verursachen. „Die gangbare Alternative sind chlor- und halogenfreie Kabel.“
Stricker sieht das alles völlig anders: „Auch PVC-Fensterrahmen sind sehr sinnvoll. Holzfenster werden doch auch nicht umweltfreundlich lackiert.“ Daß nicht nur der Berliner Senat seit Jahren den Einbau von PVC-Fenstern bei öffentlichen Gebäuden untersagt, kann Stricker nicht nachvollziehen. Er ist von der Zukunft des Plastiks überzeugt: „In fünfzehn bis zwanzig Jahren wird es hier nur noch Mehrweg-Flaschen geben. Und zwar aus Plastik.“ Plastik sei niedrigenergetisch, könne also mit geringerem Energieaufwand hergestellt werden als Glas oder Stahl und habe im Transport einen echten Leichtgewichtsvorteil, so Stricker.
Recycling ist immer erst bei großen Materialmengen ökonomisch, deswegen solle aber nicht die Produktion erhöht werden, was Kritiker wie Bliß befürchten. Stricker sieht darin jedoch keine Gefahr: Die Einführung einer Rohölsteuer statt der gegenwärtigen Mineralölsteuer könne diesen Trend bremsen. Dann nämlich verteuerten sich die Ausgangsstoffe für Plastik.
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