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Der ganze Osten ist ein Gewerbepark

■ Neue Länder weisen riesige Areale als Gewerbeflächen für die Neuansiedlung von Firmen aus und verhökern sie zu Schleuderpreisen / ForscherInnen: Der Mißerfolg ist so bereits vorprogrammiert

Berlin (dpa/vwd) – Dem anhaltenden Niedergang der Industrie wollen die ostdeutschen Länder und Kommunen durch Ansiedlung von Betrieben auf neuen Gewerbeflächen entgegenwirken. Mittlerweile gibt es kaum eine Gemeinde zwischen Elbe und Oder, die in der Hoffnung auf schnelle Einnahmen und Arbeitsplätze nicht wenigstens ein Gewerbegebiet ausgewiesen hat. Weil sie dabei die Investitionen aus dem Westen aber überschätzt haben, werden die Kommunen nach Ansicht vieler Experten die zum Teil riesigen und mit öffentlichen Mitteln bezuschußten Areale längere Zeit nicht veräußern können.

Der Verband deutscher Hypothekenbanken hat darauf hingewiesen, daß für das Kreditgeschäft die Unwägbarkeiten bei Gewerbeparks und Fachmarktzentren in Ostdeutschland am größten seien. Während es in den alten Ländern etwa ein Dutzend Gewerbeparks mit einer Größe von je über 50.000 Quadratmetern gebe, seien in den neuen Ländern mehr als hundert mit einer Fläche bis zu 100.000 Quadratmetern realisiert worden oder in der Planung. Zusammenbrüche seien programmiert. Die Bereitstellung von Boden allein reicht als Investitionsanreiz nicht aus, heißt es in einer Analyse der Bonner Gesellschaft für Struktur- und Stadtforschung „empirica“. Im Osten konkurrierten etwa 8.500 unabhängige Gemeinden mit eigener Planungshoheit um weniger werdende Investoren. In den viermal größeren Altländern sind es nur 7.500.

Bei der Standortsuche sprechen Investoren mit mehreren Gemeinden. Die Folge: Kommunen überschätzen die Nachfrage. Areale werden zum Spottpreis veräußert. Vor allem ländlichen Kreisen droht ein Überangebot. Die Experten von empirica gehen davon aus, daß der Bedarf an Gewerbegebieten bereits mit dem jetzigen Planungsstand gedeckt sei.

Diese Vermutung wurde gestern indirekt durch neue Zahlen aus dem Statistischen Bundesamt untermauert, das gestern ein „Rekordhoch“ bei der Zahl der Pleiten meldete. In den neuen Bundesländern wurden den Gerichten zwischen Januar und Oktober 1992 dreimal soviel Vollstreckungsverfahren gemeldet wie im Vorjahreszeitraum. Auch in den alten Bundesländern ist die Zahl der Unternehmenskonkurse im Oktober um 30,5 Prozent auf 925 Fälle gestiegen.

Daß trotzdem in einigen Regionen ein Mangel an Gewerbegrund beklagt werde, so liegt das laut empirica daran, daß Gewerbegebiete zwar ausgewiesen sind, von Unternehmen aber noch nicht bezogen werden können. Den Wildwuchs haben Bund, Länder und Kommunen nicht unerheblich bezuschußt. Nach Angaben des Ifo-Instituts wurden allein 1991 über zwei Milliarden DM für entsprechende Infrastruktur-Maßnahmen bereitgestellt. Hinzu kommen billige Kredite und Investitionsbeihilfen.

In Mecklenburg-Vorpommern, wo Anträge für 300 Standorte mit einer Fläche von rund 4.800 Hektar vorliegen, sind bis 1994 rund 600 Millionen DM Fördermittel vorgesehen. In Sachsen wurden bis Oktober rund 1,1 Milliarden DM im Rahmen des Programms „wirtschaftsnahe Infrastrukturmaßnahmen“ investiert. Sachsen-Anhalt zahlte für 1.400 Hektar Gewerbeparks 1991 rund 400 Millionen DM und für das laufende Jahr 200 Millionen DM.

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