: Der elektrische Ortsamtsleiter
■ Das „Netzwerk Stadtinformation“: Über öffentliche „Infotheken“ sollen politische Nachrichten, Theaterspielpläne und Stadtkarten ständig abrufbar sein/ Projekt von Uni und HfK
Eben sind auch die zuständigen Politiker aufgewacht. Das Schlagwort „Datenautobahn“ rast in den Konferenzsälen umher, Inbegriff für einen wahren Alptraum an Informationsfluten, die künftig, dank leistungsfähigerer Transportwege, auf schnellsten Wege in die Wohnstuben dringen sollen. Nun sorgen sich auch die führenden Köpfe der „G 7“-Staaten: Wer soll denn nun Vorfahrt bekommen? Naht nicht schon der Kommerz auf der Überholspur, alle anderen Informationsanbieter hinter sich lassend, den Bürger daheim an seinem kleinen Power-PC sowieso und auch die öffentliche Hand?
Ein bißchen früher haben sich einige Kommunen diese Fragen gestellt. Hamburg, Köln und Leipzig bieten „Stadtinfos“ über das „Internet“ an, das vom heimischen PC via Modem angezapft werden kann – zum Ortstarif. In Bremen arbeitet die Uni an einem „Netzwerk Stadtinformation“, das gemeinsam von der Kommune und kommerziellen Partnern getragen wird. Darin sollen u.a. Notizen aus den Ortsparlamenten, Vereinsnachrichten und Hinweise auf Theater- und Konzertveranstaltungen zusammenlaufen, nebst Werbeanzeigen für die Bremer Hotels und Kneipen; alles abrufbar von öffentlichen und privaten Terminals. Touristen und Einheimische sollen gleichermaßen von dem Bremer Netz profitieren. Die ersten „Infotheken“ laufen bereits im Testbetrieb; im September sollen die Terminals in größerem Maßstab im Stadtgebiet eingerichtet werden.
„Wenn man Information nicht nur als Ware begreift, darf man die Versorgung mit elektronischen Informationsleistungen nicht dem Markt allein überlassen.“ Mit großen Worten trat die Uni 1993 auf den Plan, um sich – und den Bürgern – beizeiten eine Spur auf der Datenautobahn zu sichern. Der Satz entstammt dem ersten Zwischenbericht des Bremer Modellversuchs. Seither haben die Informatiker der „Projektgruppe Telekommunikation“ ihre Ansprüche in feste Form gegossen: In Gestalt eines riesigen Buchstabens – das altbekannte Info-„i“ – stehen fünf der „Infotheken“ in Bürgerhäusern und Büchereien. Der Vorteil gegenüber gedruckten Broschüren und Veranstaltungsheften: „Wir versuchen, bisher verstreute Informationen zu bündeln“, sagt Herbert Kubicek, Projektleiter.
Das bedeutet: Wer wissen will, wann der „Gelbe Sack“ das nächste Mal abgeholt wird; wer neben den Öffnungszeiten des Museums Weserburg auch noch Näheres über die aktuelle Ausstellung erfahren will; wer sich über den Spielplan der Shakespeare Company informieren will und dann noch auskundschaften möchte, mit welcher Buslinie er hinkommt – der kann all das an der Infothek erfahren. Per Mausklick lassen sich die Informationen auf den Bildschirm holen. Eine Reihe von Anbietern hat Kubiceks Gruppe bereits akquiriert. Der „Bremer“ z.B. verspricht sich davon „eine Investition in die Zukunft“, wie Geschäftsführer Jakob Rüdiger sagt. Derzeit wird der Veranstaltungskalender des Stadtmagazins in das „Infothek“-System eingespeist; später will die Redaktion die Daten täglich aktualisieren.
Denn beim derzeitigen Stand „sind wir noch nicht besser als das Heft, das neben dem Computer liegt“, räumt Kubicek ein. Trotz vieler schöner Ideen, welche Informationen denn so alle über die Infotheken vertrieben werden könnten, hakt es derzeit bei der redaktionellen und technischen Bearbeitung. Die besorgt zur Zeit noch die Uni-Forschungsgruppe selbst. Der Aufwand ist zur Zeit noch beträchtlich; dennoch gibt es schon Beispiele, wie die multimediale Vereinsnachricht der Zukunft aussehen könnte. Der Aikido-Klub Hastedt z.B. wirbt auf elektronischem Wege neue Mitglieder: Neben Textinformationen über Sportarten, Adressen und Ansprechpartner läuft auch eine kleine Computeranimation über den Schirm, in der sich zwei Hastedter Sportsfreunde krachend aufs Kreuz legen. Gleiches ließe sich mit politischen Nachrichten aus dem Stadtteil anstellen: Kubicek denkt an digitalisierte Videos, in denen der Ortsamtsleiter Auskunft über die Verkehrsberuhigung gibt – ebenfalls per Mausklick abzufragen.
Und zwar nicht nur an den Infokisten in der Stadt. Der private Partner der Stadt, der „Verlag Kommunikation und Wirtschaft“, wird die gesammelten Informationen über das System Datex-J (eine aufgepeppte Version des alten BTX) auch privaten PC-Besitzern zur Verfügung stellen. Und so richtig interessant, sagt Kubicek, wird es erst, wenn man vom heimischen Gerät aus auch selbst Nachrichten versenden kann – z.B. an seinen Abgeordneten: „Man kann ja mal fragen: In welchen Ausschüssen sitzt der eigentlich? Welche Initiative hat er in letzter Zeit unterstützt?“ Auf diesem Wege könnte eine „neue Art der bürgernahen Verwaltung entstehen“ – in den USA würde Ähnliches bereits praktiziert.
Bis Mitte nächsten Jahres läuft das Uni-Forschungsprojekt noch. Spätestens dann muß es auf soliden Beinen stehen: die Redaktion wie auch die Finanzierung soll zu gleichen Teilen vom kommerziellen Nutzer wie von der Stadt besorgt werden. Bei einem Preis „zwischen 5.000 und 20.000 Mark“ sind die Infotheken selbst, von der Bremer HfK entworfen, der geringste Kostenanteil. Tragen soll sich alles über die Werbung, die der private Partner anzuschleppen verspricht.
Bleibt die Frage: Wer benutzt das Netz eigentlich – und wie? Bei dem ersten Testlauf in der Stadtbücherei Neustadt stellte die Uni fest, daß vor allem junge, männliche Besucher an der Kiste herumspielten. Einigen Kindern gelang sogar das vermeintlich Unmögliche: Sie drangen bis auf die Programmierebene vor. Daß die Neue Technik per se ältere Benutzer abschreckt, glaubt Kubicek trotzdem nicht. Zwar arbeitet eine HfK-Gruppe gerade daran, eine einfachere, wirklich übersichtliche Bildschirmgrafik zu entwerfen. Aber: „Es muß sich bloß rumsprechen, daß hier nützliche Informationen zu kriegen sind“ – dann werde das Netzwerk „in zwei, drei Jahren“ wie selbstverständlich von allen Alter- und Sozialschichten benutzt. Thomas Wolff
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