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Zwischen den RillenDer dritte Weg

Pflicht und Kür: Mos Def tritt das lineare HipHop-Fortschrittsdenken in die Tonne

Hand aufs Herz: Mit dem großen HipHop-Album, das noch einmal alle verschiedenen Strömungen zusammenfasst und einen Ausblick auf das gibt, was im nächsten Jahrhundert unserer harren könnte – damit hat niemand mehr gerechnet. Denn 1999 war kein Jahr, in dem HipHop in besonderem Maße die Aufmerksamkeit hätte beanspruchen können.

Zwar brachten alle möglichen Heroen vergangener Epochen Platten heraus, von Slick Rick über Public Enemy und den Jungle Brothers bis zu Ol’Dirty Bastard und Puff Daddy. Aber die waren meist weit weniger bemerkenswert als das Brimborium drum herum. „Black On Both Sides“ von Mos Def ist das Gegenteil dieser Hypes: HipHop auf der Höhe seiner Möglichkeiten, mit einem Wissen von dem, was war, dem, was ist, und einem Blick auf das, was kommen könnte.

Nun läuft ja schon ein paar Tage länger das Gerücht um, dass Independent-HipHop – jene Unterabteilung des Genres, die dem Ausverkauf den Kampf angesagt hat und wieder den alten und wahren Werten des HipHop zu ihrem Recht verhelfen möchte – für die Rettung bereitstehe. Doch bisher konnten nur wenige Platten sich an diesem Anspruch messen lassen, da meist das Bestehen darauf, die wahren Fertigkeiten, die Skills, zu besitzen und sich mit diesen vor der Geschichte beweisen zu können, geradewegs in die Langeweile führte.

Mos Def gilt als der begnadeteste Rapper dieser Szene. Er ist Anfang zwanzig, kommt aus Brooklyn, und wenn er nicht gerade Platten aufnimmt oder sonst irgendwo rappt, dann arbeitet er in einem Buchladen. Vor zwei Jahren trat er das erste Mal in Erscheinung, als Teil der Lyricist Lounge, jener New Yorker Veranstaltungsreihe, die gemeinhin als Keimzelle der Independent-HipHop-Bewegung gilt, wo aber auch Foxy Brown ihren ersten Auftritt hatte. Dann veröffentlichte er gemeinsam mit Q-Tip von A Tribe Called Quest die Single „Body Rock“, und schließlich brachte er gemeinsam mit seinem Partner Talib Kweli das „Black Star“-Album heraus – schon das war eine Platte, die als Dämmerung einer neuen Zeit auf den Plan trat. Nun vollendet sich diese Chronik eines angekündigten Meisterwerks mit der Veröffentlichung desselben.

Mos Def ist HipHop und öffnet das Genre gleichzeitig nach allen Seiten. Von Gregory Isaacs bis Rakim spaziert er durch die afroamerikanische Musikgeschichte und spielt sich dabei durch fast alle HipHop-Genres, mit einer Selbstverständlichkeit, nach der man bei fast allen anderen Rappern lange suchen kann. Da wäre etwa das Worum-geht-es-im-HipHop-in-diesen-Tagen-eigentlich-Stück, das in der Art jeder Rapper im Programm hat, um zu zeigen, dass er weiß, wo der Hase läuft: Aber so wenig prätentiös wie Mos Defs „HipHop“ bekommt man das nur selten. Dann das Ich-hab’-da-dieses-Mädchen-kennen-gelernt-und-neun-Monate-später-war-ich-Vater-so-kann’s-kommen-Stück. Oder die Kür – das Stück über die eigene Gegend: Mos Defs „Brooklyn“ beginnt mit einer Variante von „Under the bridge“, bevor es als Triptychon seine einzelnen Teile ausrollt und mit einem Roy Ayers-Sample – „We live in Brooklyn, baby“ – der Geschichte seine Reverenz erweist.

Die ganze Platte atmet einen zurückgelehnten Siebzigerjahre-Geist, der zwar musikalisch nicht der Schritt voran ist, wie man es im HipHop bisher gewohnt war, wo jede neue Schule mit einem neuen Sounddesign antrat und das „next level“ immer auch eins des Klangs war. Aber darum geht es auch nicht – solange noch Zeit ist, sollte das lineare Fortschrittsdenken, das sich an Soundinnovationen klammert, auch endlich in die Tonne getreten werden, in die es gehört.

Denn gerade über die Öffnung gegenüber der Vergangenheit und die Verklammerung der Historie mit seinen Skills lädt Mos Def HipHop wieder mit dem auf, was man auch soziale Frage nennen könnte. Mit HipHop stimmt etwas nicht, weil mit der afroamerikanischen Community etwas nicht stimmt, stellt Mos Def fest – und wer immer sich die Frage stelle, was da nicht stimmt, sollte sich diese Frage vor allem selbst stellen. Damit formuliert Mos Def eine Position, die von der Underground-Rechthaberei genauso weit weg ist wie von der „take the money and run“-Haltung der Millionenseller. Ein dritter Weg, wenn man so will. Tobias RappMos Def: „Black On Both Sides“. Rawkus (Zomba)

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