: Der dritte Weg der Astrid Proll
Mit Anfang zwanzig ging Astrid Proll zur RAF, saß in Isolationshaft, floh ins Ausland. Nun veröffentlicht sie ein Buch über ihre Vergangenheit. Ein Portraiät ■ Von Uta Andresen
Ihr Leben begann mit 26. Davor waren die Internate, in die die Eltern das aufsässige Mädchen abschoben und in denen es später, weil lesbisch, diskriminiert wurde. Und davor war auch die Rote Armee Fraktion. Beide Institutionen hatten etwas gemeinsam: Sie forderten Disziplin und Unterordnung. Und sie nahmen Freiheit. Freiheit, die sich Astrid Proll während ihrer Jugend zäh ertrotzte, indem sie in jeder Erziehungseinrichtung ihren Rauswurf provozierte. Freiheit, die sie mit Anfang zwanzig bereitwillig wieder aufgab, als sie zur RAF ging.
Das einzige, was an Astrid Proll heute noch rebellisch daherkommt, ist ihr Auftreten: Die Bitten im Befehlston, die Fragen gern als Provokation. Wenn sie essen geht, winkt sie, den Blick auf die Speisekarte genagelt, den Kellner heran. Ein Fuchteln in der Luft, schroff. Und wer mit ihr reden will, bekommt erst einmal zu hören: „Aber nicht über den alten RAF- Kram.“ Dabei ist es dieser alte Kram, der diese Frau so interessant macht. Oder etwa das Londoner Reihenhäuschen der Lebensgefährtin mit der Stockrose davor, in dem Astrid Proll ein paar Monate des Jahres verbringt? Oder der Job als Bildredakteurin, früher bei Tempo, dann bei der Wochenpost, heute als freie Buchautorin?
So uninteressant kann auch sie ihre eigene Jugendgeschichte nicht finden, immerhin hat sie über diese Zeit einen Bildband zusammengestellt über die erste, ihre Generation der RAF. Eine Art Tagebuch, das in seiner Ästhetik durchaus als Bildband über Sechziger-Jahre-Popstars durchgehen könnte. „Das Buch ist mir einzigartig gelungen“, sagt sie. Astrid Proll hat ein profundes Selbstbewußtsein. Und es ist gut, daß sie das hat. Jemand mit mehr Selbstzweifeln wäre wohl nicht so gut aus „der ganzen Sache“ herausgekommen. Astrid Proll ist weder alkoholabhängig noch krank wie andere ihrer früheren Freunde. „Gut“ ist also ein relativer Begriff, wenn man mal Terroristin und Staatsfeind Nummer eins war.
Astrid Prolls Leben hat nichts Revolutionäres. Wie man es sich eben so einrichtet mit 51, wenn die ersten grauen Strähnen übertönt sein wollen und man seinen Platz im Leben gefunden hat. Sonntagessen im Freundeskreis, Urlaub in Cornwall, eleganter schwarzer Pullover zur Jeans.
Bis es dazu kam, mußte Astrid Proll erst zwei Jahre Knast, fünf Jahre Illegalität und eine Psychotherapie hinter sich bringen. Zu verantworten hatte sie das selbst, im Grunde aber die RAF, Desaster der deutschen Linken, und Prolls ganz persönliche „Katastrophe“, wie sie sagt.
Und die fing denkbar heiter an. Etwa so: Junge lesbische Frau um die zwanzig entrinnt repressiven Erziehungsanstalten, lernt in Berlin über den älteren Bruder Anfang der Sechziger charismatische Intellektuelle kennen – und zum ersten Mal Menschen, die sie nicht dafür abstrafen, daß sie Frauen liebt. Paradoxerweise ist es ein Mann, der Astrid Proll fasziniert und mit dem sie sich identifiziert. Andreas Baader, der „Marlon Brando der RAF“, zumindest hat sie ihn so gesehen. So wie er wollte das Mädchen auch sein: „Kraft und Vitalität“ haben und vor allem seine „schlechten Manieren“. Das bedeutete, sich über Grenzen hinwegzusetzen und mit den Nazispießereltern zu brechen.
Zu der Zeit steckte die RAF noch in der Pubertät, zündelte im Frankfurter Kaufhaus, lebte in WGs und träumte von der großen Revolution. Die RAF Ende der Sechziger – das war für Astrid Proll „Existenz, Religion, Familie“. Doch als die RAF erwachsen wird, Andreas Baader aus Berliner Untersuchungshaft befreit, wird die Familie zur „Unterdrückungsmaschine“, sagt Astrid Proll. Leben im Untergrund – spätestens da war es mit der Freiheit vorbei, auch mit der sexuellen.
Die durfte nur noch innerhalb der Gruppe gelebt werden, externe Beziehungen waren zu gefährlich, Loyalitäten konnte es nur innerhalb des „Zusammenhangs“ geben. Der beschränkte Balzpool von zwanzig, dreißig Leuten erzwang, „sich vorübergehend sexuell anders zu orientieren“. Die Gruppe war alles. „Die Existenz der RAF war immer wichtiger als man selbst. Man mußte überleben.“ Die Angst wurde verdünnt durch das gute Gefühl, in einer Mission unterwegs zu sein.
„Man war Kader, war wichtig“ – da war kein Platz für private Gefühle. Daß die natürlich eine Rolle spielten, hatte keine Rolle zu spielen. „Man konnte sich nicht mit der Freundin ins Bett legen, wenn man eine Bank ausrauben wollte“, sagt Astrid Proll. Nicht allein schlafen, nicht allein essen, nicht allein denken. Es gab nur die gemeinsame Position, und die machte einsam. Alles, was die Außenseiterin Astrid Proll zu diesem Zeitpunkt erreicht hatte, war, einer Gruppe anzugehören, die Außenseiter sein wollte.
Ihr Weg aus der Isolation RAF führte sie in die Isolation – diesmal ins Untersuchungsgefängnis, nachdem sie im Winter 1971 im Frankfurter Westend in eine Polizeikontrolle geraten war. Das, was Astrid Proll von 1971 bis 1973 im Gefängnis Köln- Ossendorf durchlebte, nannte der linke RAF-Anwalt Horst Mahler später „weiße Folter“. Zwei Jahre schallisoliert, kein Laut außer den selbst erzeugten. Erst als ein Arzt sagt, die junge Frau erinnere ihn an die ausgemergelten Kameraden aus russischer Kriegsgefangenschaft, wird Astrid Proll für haftunfähig erklärt. „Ich war ein Wrack“, sagt sie.
Da war sie 26. Eigentlich Zeit zu leben. Sie floh und setzte sich nach England ab. Heiratete dort, denn „ich war so furchtbar deutsch, ich wollte alles korrekt machen“. Aus Astrid Proll wurde Anna Puttick, britische Staatsbürgerin mit gefälschten deutschen Papieren. Die blieb sie für vier Jahre, bis sie entdeckt und nach Deutschland ausgeliefert wurde.
Die Londoner Feministinnenszene bewunderte die junge Deutsche mit den forschen Umgangsformen. „Wir waren sehr von ihr beeindruckt“, sagt Joanna Ryan, Prolls heutige Lebensgefährtin. 1975 sahen sich beide zum ersten Mal. Die RAF- Frau führte ein normales Leben und zugleich ein außergewöhnliches. Lernte in einer Autowerkstatt Mechanikerin, arbeitete als eine der ersten Frauen in England am Fließband. Avantgarde zu sein, „vorneweg“, wie Astrid Proll sagt, schien und scheint ihr wichtig zu sein. In Deutschland war es die radikale Linke, in England der Feminismus, heute ihre Arbeit mit hippen Fotografen wie Wolfgang Tillmans.
Die Männer in der Londoner Fabrik waren irritiert von der jungen Deutschbritin, die nicht Emanzipation forderte, sondern sie sich einfach nahm. Sie mußten dieses Verhalten für bizarr – und irgendwie deutsch gehalten haben, denn sie nannten sie entweder Hitler oder Baader-Meinhof. „Zu der Zeit wollte ich sogar lieber Hitler sein“, sagt Astrid Proll heute.
Alles, was mit der RAF oder Deutschland zu tun hatte, erzeugte bei ihr erst einmal eines: Furcht. Das fiel auch den Freunden auf. „Wir wußten, daß es ein Geheimnis gab um sie, aber wir fragten nicht“, sagt ihre jetzige Lebensgefährtin Joanna Ryan. Astrid Proll ließ sich nicht fotografieren, war stets kurzangebunden am Telefon, geriet in Panik, wenn neue Leute im Freundeskreis auftauchten. „Für Astrid“, sagt die Freundin, galt es, „mit zwei Dingen gleichzeitig fertigzuwerden“: der Angst, entdeckt zu werden und den Auswirkungen der Isolationshaft – mit flashbacks, Panikanfällen in Menschenmengen, Nervositätsattacken. Die klassischen Symptome eines Posttraumas. Nur, daß damals keiner der Freunde ahnte, worunter ihre deutsche Bekannte litt. Wie auch, ihre Identität behielt sie ja für sich. Das einzige, was hätte helfen können – reden, reden, reden – wurde somit unmöglich.
England war zugleich aber auch eine Art Kur für Astrid Proll. „Ich mußte mich erst einmal berappeln.“ England bedeutete: Weggehen mit Freunden, Spaß haben, sich politisch engagieren zu können, ohne im Untergrund zu sein. Und arbeiten mit kriminellen Jugendlichen, was Astrid Proll schon immmer sehr mochte, denn die Kids erinnerten sie an ihre eigene Situation als Jugendliche.
Das ist wohl auch der Grund dafür, warum sie heute noch mindestens ein paar Monate im Jahr in diesem so „offenen Land“ verbringen muß. „England war mein Glück, meine Befreiung.“ Die großen Worte klingen bei Astrid Proll so, als wenn jemand sagt, „ich geh' Brötchen holen“ – unprätentiös. Pathos kann zu dieser Frau nicht passen. Nicht zu diesem schroffen Auftreten, zu dem Stakkato der Sätze, das einem in dem Zwiespalt zurückläßt, ob man vor dieser Frau nun Respekt haben oder von ihr schlicht genervt sein soll.
Als Astrid Proll zum zweiten Mal verhaftet wird, 1978 in London, war sie „schon längst nicht mehr in der RAF“. Aber das, sagt sie, konnte sie nicht zugeben. „Man konnte da nicht einfach kündigen.“ Zu hoch war der Druck – von Seiten der Linken, die jeden Aussteiger zum Verräter stilisierte und die Latte damit für manchen wohl unerreichbar hoch hing. Aber dann doch nicht zu hoch für Astrid Proll. „Ich hatte zum Glück nicht die Härte, den Kampf im Knast wie Baader und andere durchzustehen oder wieder in Freiheit weiterzumachen, aber ich hatte genug Härte, um keine Aussagen gegen andere zu machen“, schreibt sie in ihrem Buch und beschreibt damit das, was sie heute den „dritten Weg“ nennt.
Sie sagt noch in England, „I've changed my life, but not my heart“ und findet damit die Formel, die beiden Seiten genügen muß. Dem deutschen Staat, dem sie klarmachen konnte, daß sie keine Terroristin mehr war, und den Freunden, die keine Angst haben mußten, daß sie auspacken würde. Zu dem Zeitpunkt gab es wohl schon nichts mehr für sie auszupacken. Nur ein knappes Jahr war sie mit der RAF im Untergrund, die meisten ihrer revolutionären Freunde waren tot oder im Gefängnis.
Gefängnis zumindest drohte nun auch ihr erneut. „Deutschland war mein Alptraum und man zwang mich dahin zurück.“ Der Alptraum erweist sich jedoch als bezwingbar. Nachdem der Kampf zwischen RAF und Staat im Herbst 1977 eskalierte und Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Ulrike Meinhof tot in ihren Zellen gefunden wurden, hieß es für den Staat, die jungen Linksintellektuellen wieder ins Boot zu holen. Meint sie.
So betrachtet, kam der Prozeß gegen Astrid Proll wohl gerade recht: Sie war im Vergleich zu anderen RAF-Kalibern eine kleine Revoluzzerin. Vergleichsweise harmlos, weil nie an der Entführung von Bankern, Politikern, Diplomaten beteiligt. Keine geeignete Folie also, auf die sich der Staatsfeind projezieren ließe – und niemand, an dem man ein Exempel statuieren müßte. Eher eine verirrte Tochter, die es heimzuholen galt. Die Frau wirkte zu Prozeßbeginn zerbrechlich, schutzbedürftig. Fünf Jahre für Banküberfall und Urkundenfälschung, Freispruch in Sachen Mordversuch schienen angemessen. Die zwei Jahre Untersuchungshaft wurden angerechnet, den Rest gab es zur Bewährung.
Tatsächlich jedoch hatten ihre englischen Freunde eine so erfolgreiche Medienkampagne gestartet, daß dem deutschen Staat nichts übrig blieb, als sie in die Normalität zu entlassen. „Keine Auslieferung von Astrid Proll – wir wollen, daß sie leben kann“, protestierten damals die Freunde.
Nach dem Prozeß begann für Proll das, was sie in England schätzen gelernt hatte und was sie früher wohl verächtlich „bürgerliches Leben“ genannt hätte. Sie suchte sich eine Wohnung und einen Job, diesmal unter ihrem richtigen Namen. Verreiste wieder und erlebte angespannte Momente an Grenzübergängen, wenn sie festgehalten wurde – sie war noch im deutschen Fahndungscomputer eingespeist. Und sie fing an aufzuarbeiten, was sie „Schuld“ nennt – überlebt zu haben, während ihre Freunde, Idole, tot sind. „Was mir geblieben ist, ist mein Bekanntheitsgrad.“ Sonst nichts – keine Jugendfreunde, keine Jugenderinnerungen. Und wenn, dann solche, an die man sich nicht gern erinnert.
„Über Gewalt“, sagt sie am Ende kurz, „reden wir nicht.“ Und schiebt damit das Thema Schuld der RAF gegenüber ihren Opfern von sich. Ist ja nicht ihre Schuld, war ja nicht mehr dabei. Und spekulieren darüber, ob auch sie geschossen hätte? Nein, das will sie nicht.
„Ich bin nicht ungeschoren davongekommen“, sagt Astrid Proll und meint damit nicht nur die Zeit im Gefängnis, sondern auch, daß aus ihrer Sicht nur wenige ehemalige RAF-Mitglieder zu einem erfüllten Leben gefunden haben.
Voraussetzung für ein Leben nach der RAF ist wohl, einen Modus zu finden, mit der RAF-Vergangenheit umzugehen. Und da hat Astrid Proll so ihre Methoden. Etwa Sonntagvormittags spazieren, Klassik hören, schwimmen – nur keinen thrill. Oder die geübte Herangehensweise der Buchautorin, die sich dem Thema RAF nähert als Geschichte der Bundesrepublik, nicht als persönliche. Astrid Proll zögert nicht, wenn sie über die RAF redet, zittert nicht. Wenn sie von den toten Freunden spricht, spricht sie von „Herrn Baader“, „Frau Ensslin“, „Frau Meinhof“ – sie sagt nicht Andreas, Gudrun, Ulrike. Auch so eine Methode, nicht nahe kommen zu lassen, was nahe geht.
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