: Der blutige Statthalter von Bagdad
■ Der „tapfere Feldherr“, „Retter der Habenichtse“ und „gläubige Moslem“ Saddam Hussein versteht es seit zehn Jahren den Irak unter seiner Knute zu halten Ein Porträt des irakischen Staatspräsidenten von Bahman Nirumand
Ein Fernsehbesitzer suchte in Bagdad eine Werkstatt, um sein Gerät schnell reparieren zu lassen - ein mühsames Unterfangen, denn im Irak ist das Reparieren von Elektrogeräten mit langen Wartezeiten bis zu sechs Monaten verbunden. Zum Erstaunen des Besitzers nahm aber die erste Werkstatt, die er aufsuchte, das Gerät entgegen, bat ihn, nach einer halben Stunde wiederzukommen und das Gerät mitzunehmen. Als der Mann nach der vereinbarten Zeit zurückkam, sah er, daß die Mattscheibe seines Fernsehgerätes mit einem Foto von Saddam Hussein überklebt war. „Das Gerät braucht nicht repariert zu werden“, sagte der Mechaniker. „Was du mit dem Geräte sehen kannst, habe ich dir auf die Mattscheibe geklebt.“
Derlei Witze über den Personenkult um den irakischen Staatspräsidenten sind häufig im Umlauf. Tatsächlich wird der Diktator von Bagdad jeden Abend bis zum Überdruß im Fernsehen präsentiert: Saddam als weiser und tapferer Feldherr, als Kinder liebender, fürsorglicher, gütiger Vater, als Verfechter der Rechte der Frauen, Retter der Habenichtse, gläubiger Moslem, Beschützer von Bauern, Stämmen, kurdischen Minderheiten, als umworbener Diplomat und großer Staatsmann. Dreißig- bis fünfzigmal in der Stunde hört man seinen Namen in den staatlichen Rundfunkprogrammen.
Reichlich ausgestattet mit Ämtern und Würden - er ist Präsident der Republik, Vorsitzender des alles überragenden Kommandorates, Ministerpräsident, Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Generalsekretär der regierenden Baath-Partei und trägt diverse Titel wie „Weiser Führer der revolutionären Massen“, „Vater des Volkes“, „Sonne des Volkes“, „Führer des Volkes“ ... - begegnet jeder Iraker mehrmals am Tag seinem Bild, seinem Denkmal, seinem Namen. Auf den öffentlichen Plätzen, am Eingang eines jeden Dorfes steht sein Standbild aus bemaltem Karton in Überlebensgröße, herabblickend auf das vorbeigehende Fußvolk. In keiner Amtsstube, keinem Privatbüro fehlt die Fotografie des Staatsoberhauptes, ja oft zieren dessen Bilder auch die Wohnzimmer der Iraker. Als Marschall in Galauniform mit Schärpe und Ordensstange, in kurdischer Tracht mit lässig geschlungenem Turban, als Beduine oder elegant gekleideter Staatsmann, angepaßt an die jeweilige Atmosphäre, mal gütig lächelnd, mal grimmig dreinblikkend, mal nachdenklich in die Ferne schauend, präsentiert sich der Landesvater seinen fünfzehn Millionen Untertanen. Selbst auf dem Zifferblatt zahlreicher Uhren am Handgelenk von Frauen, Männern und Jugendlichen, auf dem Kopftuch junger Mädchen, am Schlüsselbund darf das Konterfei des selbsternannten Volksführers nicht fehlen. In den Restaurant, Teestuben, Kinos, Schauspielhäusern, in den Omnibussen, Taxis, am Zeitungskiosk, überall drängt sich das Gesicht des Präsidenten auf. Nur Taube und Blinde können dieser massiven Aufdringlichkeit entrinnen.
1937 bei Tikrit, einer Kleinstadt im kurdisch-arabischen Grenzgebiet geboren, begann seine politische Laufbahn im Gefängnis. Einige dort ebenfalls inhaftierte Baathisten nahmen ihn in ihren Kreis auf, wo er wegen Mordes einsaß.
1959 planten die inzwischen erstarkten Baathisten einen Anschlag auf den damaligen Ministerpräsidenten Qasim. Saddam, damals 21 Jahre als, sollte Schützenhilfe leisten. Doch er mochte sich mit dieser Nebenrolle nicht begnügen. „Ich konnte nicht einfach abseits stehen und zuschauen“, rühmte er sich später. „Ich mußte schießen.“ Er schoß und traf dabei nicht nur den im offenen Wagen vorbeifahrenden Ministerpräsidenten, dessen Fahrer und Beifahrer, sondern auch zwei der eigenen Kameraden, die von der anderen Seite der Straße den Anschlag ausführen sollten. Der Ministerpräsident kam mit einer schweren Verletzung davon, sein Fahrer sowie zwei der Attentäter waren auf der Stelle tot. Saddam selbst wurde ebenfalls von zwei Kugeln im Bein getroffen. Er flüchtete, zunächst in den Bagdader Untergrund, danach über Syrien nach Ägypten. Dort hielt er sich bis 1963 auf.
In diesem Jahr gelang es den Baathisten, durch einen Putsch die Macht in Bagdad zu erobern. Saddam kehrte eiligst in den Irak zurück, übernahm in der Hauptstadt die Leitung des „Untersuchungskomitees“ in dem berüchtigen Gefängnis „ghasr nahaje“ (Palast des Endes). Wieviele er hier zu Geständnissen gezwungen, wieviele er gefoltert und umgebracht hat, weiß vermutlich niemand. Es steht jedenfalls fest, daß die paramilitärischen Garden der Baath-Partei innerhalb weniger Wochen Tausende von Gegnern massakrierten.
Die Regierungszeit der Baathisten war von kurzer Dauer. Im Februar 1963 an die Macht gelangt, mußten sie bereits im Oktober desselben Jahres die Herrschaft an eine nasserfreundliche Offiziersgruppe unter Abd al-Salam Arif abtreten. In die Opposition gedrängt, spaltete sich die Baath-Partei; Saddam schloß sich dem rechten Flügel an. Innerhalb weniger Jahre schaffte er es durch Intrigen, Drohungen, Denunzierung seiner Rivalen in die oberen Ränge der Partei zu gelangen.
Der Sechs-Tage-Krieg von 1967 und die damit verbundene Niederlage arabischer Länder gegen Israel führte auch im Irak zur Wiederbelebung der Opposition. Die Kommunistische Partei Iraks (IKP-Zentrale Führung), die inzwischen über eine breite Basis in der Bevölkerung verfügte, proklamierte sogar den bewaffneten Kampf. Auch der Widerstand der Kurden gegen die Zentralregierung nahm an Stärke zu. Für die Baath -Partei schufen die Unruhen im Land und die Unfähigkeit der Regierung Arif, die Opposition in die Schranken zu weisen, eine Chance zur Wiedererlangung der Macht. Die Baathisten boten der Regierung Zusammenarbeit an, besetzen die Schlüsselpositionen im Staatsapparat und in der Armee, wenige Monate später eroberten sie vollends die Macht. Siebzig bewaffnete Männer - Saddam Hussein gehörte zu den Anführern - führten eine Palastrevolution durch, schickten Arif in die Verbannung und setzen Hassan al-Bakr auf den Präsidentenstuhl. Nach dem Machtwechsel wurden abermals zahlreiche Menschen verhaftet und ermordet. Offiziell wurde die Hinrichtung von etwa 100 angeblichen Spionen bekanntgegeben. Sie wurden - zur Abschreckung - im Zentrum von Bagdad öffentlich exekutiert.
Wieder an der Macht wollten die Baathisten die Fehler von 1963 vermeiden. Sie proklamierten die „weiße Revolution“, riefen alle Parteien zur Mitarbeit auf - darunter auch die Kommunisten und die kurdische Nationalbewegung. Später wurden sogar zwei Mitglieder der KPI und zwei Repräsentanten der Kurden ins Kabinett aufgenommen - ein kluger Schachzug, der die Opposition ohne größere Zugeständnisse neutralisierte und der Regierung die Gelegenheit gab, ohne Zeitdruck ihre Wiedersacher nacheinander auszuschalten. All dies geschah unter Saddams Regie, der längst schon im Hintergrund alle Fäden in den Händen hielt.
Die „Erdölkrise„von 1973 und der damit verbundene Anstieg der Öleinnahmen um das Dreifache ermöglichte dem Regime die Durchführung größerer Aufbauprojekte. Es begann eine Phase der ökonomischen sozialen Prosperität, die zur Einbindung größerer Teile der Bevölkerung führte. Ein Jahr zuvor war bereits, zum Stolz der Nation, die Ölindustrie verstaatlicht worden. Einem darauffolgenden Boykott des irakischen Erdöls durch westliche Ölkonzerne versuchten die Baathisten durch einen Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion zu umgehen. Die UdSSR verpflichtete sich, das irakische Öl zu den jeweiligen Weltmarktpreisen zu kaufen. Auch dieser Vertrag war das Werk Saddam Husseins. Staatspräsident Hassan al-Bakr - wird erzählt - habe sich nur durch eine von Saddam Hussein persönlich abgefeuerte Pistolenkugel in seinem linken Arm von der Richtigkeit dieses Plans überzeugen lassen.
Der Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion stärkte keineswegs den politischen Einfluß der moskautreuen KPI. Im Gegenteil: Der zunehmende Widerstand der Kurden lieferte der regierenden Baath-Partei die Handhabe zu einem Gesetz, wonach sämtlichen Parteien - also auch der Kommunistischen Partei - jede politische Tätigkeit unter Androhung der Todesstrafe untersagt wurde.
Die Liquidierung der kurdischen Widerstandsbewegung gelang dem Baath-Regime 1975 durch das Abkommen von Algier. Zu diesem Abkommen mit dem Schah, das der irakischen Regierung Zugeständnisse in Grenzfragen abzwang, gehörte auch die Vereinbarung, jegliche Unterstützung der Opposition im Nachbarland zu unterlassen. Somit verpflichtete sich der Schah, die bis dahin gewährte finanzielle und militärische Hilfe an irakische Kurden einzustellen. Außerdem sollten in beiden Ländern in den Grenzgebieten bis jeweils dreißig Kilometer ins Landesinnere Zwangsumsiedlungen durchgeführt werden. Die irakische Regierung führte diese Verpflichtung gründlich aus: zehntausende Menschen kurdischer Abstammung wurden in die dreißig Kilometer entfernte Dörfer vertrieben, dort leben sie heute noch, zusammengepfercht in Lehmhütten und Höhlen, unter den ständig auf sie gerichteten Gewehren der Wachsoldaten. Das leergefegte Gebiet - einer der fruchtbarsten Gegenden Iraks - wurde verbrannt, Brunnen wurden verschüttet, Flüsse trockengelegt. Das Land sollte für immer unbewohnbar gemacht werden.
Nach der Zerschlagung der kurdischen Nationalbewegung begann die Abrechnung mit der KPI. Im Mai 1978 wurden 31 KP -Mitglieder und Sympathisanten hingerichtet. Saddam Hussein bereitete seine absolute Herrschaft vor. Von Januar 1978 bis August 1979 wurden 191 Todesurteile wegen „Konspiration gegen die Revolution„ vollstreckt, zwischen Mai 1978 und März 1979 sollen über zehntausende Menschen verhaftet und gefoltert worden sein, vom 1.Januar 1979 an „verschwanden“ innerhalb von sechs Wochen 1913 KP-Mitglieder und Sympathisanten sowie über 2.000 Kurden. Auch die schiitische Opposition, die durch die iranische Revolution Auftrieb erhalten hatte und sich nun durch Anschläge auf Regierungsmitglieder und staatliche Einrichtungen bemerkbar machte, bekam die staatliche Repression zu spüren. Laut Gesetz sollte jedes Mitglied der schiitischen Organisation „Al-Dawaa“, ja sogar jeder Sympathisant dieser Organisation, der ihre Ideen propagiert oder ihre Arbeit fördert, mit dem Tode bestraft werden. Bakr al-Sadr, geistig-politischer Führer der Schiiten, wurde verhaftet und ermordet. Gerüchte besagen, daß Saddam ihn mit eigenen Händen erwürgt habe.
Diese massive Unterdrückung der Opposition, der Kommunisten, Schiiten, Kurden, wurde keineswegs von allen Führern der Baath-Partei gutgeheißen. Staatspräsident Hassan al-Bakr und einige Mitglieder des Revolutionsrates empfahlen Kompromißlösungen und Zugeständnisse. Doch Saddam duldete keinen Widerspruch. Der Präsident wurde unter Hausarrest gestellt und schließlich wegen „Krankheit und Regierungsunfähigkeit„ seines Amtes enthoben. Damit war für Saddam die letzte Hürde zur absoluten Macht überwunden. Am 1.Juli 1979 übernahm er auch formell die Staatsführung.
Seinen Einzug in den Präsidentenpalast feierte der nun 42jährige mit einer gründlichen Säuberung in den eigenen Reihen. Zum 22.Juli berief er die Mitglieder der Baath -Partei zu einer Vollversammlung nach Bagdad. Der Sonderparteitag wurde zu einem Tribunal umfunktioniert. Saddam ergriff die Gelegenheit, alte und neue Rechnungen zu begleichen, unliebsame Weggefährten auszuschalten. Er wußte, daß er allein mit der Peitsche seine Herrschaft nicht aufrechterhalten und stabilisieren konnte. Er kündigte „eine neue Phase der Revolution„, die Aufhebung des bereits zehnjährigen Ausnahmezustandes, eine neue Verfassung, Schaffung unabhängiger politischer Institutionen und freie Wahlen zu einem Parlament an. Tatsächlich besitzt Irak seit 1980 ein Parlament. Doch das Parlament ist machtlos. Es ist ihm untersagt, von sich aus Gesetzesvorschläge in militärischen sowie finanz- und sicherheitspolitischen Angelegenheiten vorzulegen, es kann gegen den Willen des Kommandorates der Revolution keine Gesetze verabschieden, keine Gesetzesvorlagen des Kommandorates wesentlich verändern.
Durch Gesetz und Terror sicherte Saddam seine herausragende Position, doch offenbar konnte die Herrschaft über fünfzehn Millionen Untertanen seine Machtgelüste nicht stillen. Er wollte noch höher hinaus, träumte von der Ausweitung seines Herrschaftsbereiches, davon, nach dem Sturz des Schah in dessen Fußstapfen zu treten und die Vormachtstellung in der gesamten Golfregion und unter den arabischen Staaten zu erringen. Sicherlich spielten da auch innenpolitische Überlegungen, die Suche nach einem äußeren Feind zur Ablenkung von inneren Problemen und Legitimation des Terrors mit eine Rolle. Er nahm die propagandistischen und militärischen Provokationen aus dem Iran zum Anlaß, kündigte den 1975 mit dem Schah in Algier vereinbarten Vertrag, und verraten von geflüchteten Schah-Generälen, befahl er am 22.September 1980 seiner Armee einen Blitzangriff gegen Khomeinis neugegründete Islamische Republik. Doch die Wünsche des Präsidenten gingen nicht in Erfüllung, der Feldzug blieb bald im Sande stecken und wurde wenig später von der iranischen Armee, von Khomeinis Revolutionswächtern und fanatisierten Gläubigerscharen zurückgedrängt. Saddam wollte nun seine mißlungene Kriegsaktion durch mehrmalige Friedensangebote beenden. Doch Khomeini, der in dem Krieg eine günstige Gelegenheit sah, seinerseits von den inneren Problemen seines Landes abzulenken und seine Vision von der Gründung eines islamischen Imperiums zu verwirklichen, lehnte ab.
Saddam sitzt noch fest im Sattel. Von innen her droht dem Despoten - zumindest vorläufig - keine Gefahr. Polizei und Sicherheitsorgane haben das Land mit einem engmaschigen Netz überzogen. Alle Schlüsselpositionen in der Regierung und Armee sind von Saddams Untergebenen besetzt, die Opposition, zersplittert oder liquidiert, vermag keine ernstzunehmende Alternative zu bieten. Saddams Person wird, wie bei kaum einem Staatsmann, geschützt. Wenn er seinen Palast verläßt und durch die Straßen fährt, dann setzt sich ein Zug von zehn schwarzen kugelsicheren Limousinen in Bewegung, umringt von einer Spezialtruppe auf Motorrädern. In neun der zehn Wagen sitzen Dopppelgänger des Präsidenten. Selten zeigt sich das Staatsoberhaupt seinem Volk. Besichtigt er die Kriegsfront, werden zuvor alle anwesenden Soldaten und Offiziere entwaffnet.
Ob aus Opportunismus, aus Angst oder Überzeugung, die Mehrheit der irakischen Bevölkerung wagt nicht, sich gegen den Präsidenten zu stellen. In einer Hymne an den Staatspräsidenten heißt es: „Oh Saddam, du bist unsere Sonne, du bist unser Führer, dir folgen wir, wohin zu befiehlst.„
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