: Der bequeme Charme der Neutralität
Zum 59. PEN-Kongreß, der diesmal im kroatischen Dubrovnik stattfand, verweigerten viele nationale PEN-Clubs die Anreise / „Solidarität mit den Angegriffenen fällt schwer“ ■ Aus Dubrovnik Erich Rathfelder
Dubrovnik hatte sich herausgeputzt für den 21. und 22. April 1993. Während des 59. Kongresses des internationalen Verbandes der Poeten, Essayisten und Schriftsteller (PEN) wollten die Bewohner ihren Gästen, etwa 400 Literaten aus aller Welt, das bieten, wonach sie selbst sich am meisten sehnen: ein Stückchen Normalität inmitten des Krieges.
Sogar Strom gab es, die Stadt und der berühmte alte Hafen erstrahlten im alten, und doch ungewohnten, Glanz. Die Besucher konnten sich davon überzeugen, daß die Schäden, die der Krieg verursacht hat, weitgehend beseitigt sind. Nur die Verschalungen um die berühmten Brunnen, die Sandsäcke vor den Portalen und Fenstern vieler Kirchen und die zentimetertiefen Löcher in den Marmorsteinen des „Stradun“, der im 17. Jahrhundert gebauten Prachtstraße im Zentrum Dubrovniks, zeugten noch von der allgegenwärtigen Gefahr.
Neben dem Umstand, daß die Stadt noch vor zwei Wochen beschossen wurde, lastete Befindlichkeit auf dem Treffen. Viele Schriftsteller, ja ganze nationale PEN- Clubs hatten ihr Kommen abgesagt. Ursprünglich vom 19. bis zum 25. April in den Mauern Dubrovniks geplant, wurde ein „Kompromiß“ gefunden: Ein Teil der Zeit wird auf der Insel Hvar getagt. „Uns, den Angegriffenen, Solidarität zu erweisen fällt offenbar noch vielen schwer“, sagte Judy Hansal, eine Frau, die, aus alter Dubrovniker Familie stammend, nun Projekte für Flüchtlinge organisiert. Nicht nur für sie war es kaum zu verstehen, daß auch der deutsche PEN-Verband sich weigerte zu erscheinen. „Hier in Dubrovnik kann jeder sagen, was er will. Schließlich haben wir die jahrhundertelange Tradition einer Republik.“
Nenad Popović, Verleger aus Kroatiens Hauptstadt Zagreb, sieht zwar auch in seiner Regierung die Tendenz, die Medien kontrollieren zu wollen. „Vergessen wir aber nicht, daß das Land sich im Krieg befindet, ein Drittel seines Territoriums eingebüßt hat und die Wirtschaft darniederliegt.“ Die kritische Öffentlichkeit Kroatiens brauche Hilfe und nicht Absagen. Der Trick, Milošević und Tudjman auf eine Stufe zu stellen, ist wohl ein Grund, weshalb sich viele Schriftsteller scheuten, gegen die serbischen Verbrechen Stellung zu nehmen. Die Begründung der über 20 absagenden PEN- Clubs, der Kongreß sei in der Gefahr, politisch manipuliert zu werden, mochte Slobodan Novak, der Vorsitzende des kroatischen PEN- Zentrums, nicht weiter kommentieren: Der PEN-Club sei ein unabhängige Institution.
Diejenigen, die schließlich doch kamen, hatten am Dienstag abend die Gelegenheit, im Theater der Stadt ihre Meinungen kundzutun. Kathie Wilkens, Philosophin aus Oxford und seit zwei Jahren in Dubrovnik, kritisiert die Unverbindlichkeit: „Words, words, words.“ Branco Matan aus Slowenien war es vorbehalten, politischere Töne anzuschlagen, die Rolle der Schriftsteller im ehemaligen Jugoslawien und vor allem in Serbien anzusprechen. Nicht die kritische Rationalität habe in den letzten Jahren im Vordergrund gestanden, viele Schriftsteller seien zu Ideologen des aufsteigenden Nationalismus herabgesunken, wie Dobrica Ćosić, der jetzige Staatspräsident Rest-Jugoslawiens. „Schriftsteller haben schwere Schuld auf sich geladen.“ Matan zitiert den serbischen Schriftsteller Pavić, der angesichts des Angriffs auf die Barockstadt Vukovar erklärte: „Wir müssen die Stadt zerstören und später wieder in byzantinisch-serbischem Stil aufbauen.“
Die Absage der serbischen Schriftsteller, obwohl in besonderer Weise eingeladen, hat deshalb auch nicht überrascht. Anlaß zu Spekulationen über die gesamte Organisation und die Rolle des PEN-Vorsitzenden György Konrad boten ihre Begründungen dennoch. Denn nach den Querelen im Vorfeld der Kongresses wurde das Ereignis von Konrad als eine Art „Kolloquium“ deklariert, und da es sich bei dem Kongreß nun nicht um eine ordentliche Mitgliederversammlung handele, so die serbischen Schriftsteller, bräuchten sie auch nicht zu erscheinen.
Daß das ganze Problem aus der Unentschiedenheit vieler Verbände und Schriftsteller, die im Krieg in Jugoslawien nicht Partei ergreifen möchten, entsteht, mochte auch György Konrad nicht bezweifeln. Die geschichtliche Erfahrung mit der Konstellation des Zweiten Weltkrieges scheint auch für ihn den Blick auf die heutige Situation zu verstellen. Dürfen sich die Schriftsteller jedoch um diese entscheidende Frage drücken? Vor sechzig Jahren warnten ihre Vorläufer hier an diesem Ort, in Dubrovnik, vor den aufkommenden nationalistischen und faschistischen und totalitären Ideologien. Und sie demonstrierten 1936 mit ihrem Kongreß im belagerten Madrid gegen die kommende Katastrophe. Die jetzt in Dubrovnik erschienen sind, zeigten zwar guten Willen. Doch die Gelegenheit, eine gründlichere Position gegenüber den neu aufkommenden aggressiven und totalitären Politikformen zu formulieren, die sich nicht nur in der braun-roten Koalition in Serbien manifestieren, scheint verstrichen.
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