Der arme Professor und die Meute

Bei einem Berliner Symposium zur DDR-Wirtschaft kam ein Ost-Ökonom unter die Räder / Cornelsen: DDR-Währung nicht zerreden  ■  Von Ulli Kulke

Wie ein Klippschüler, der schon wieder eine Sechs in der Rechenarbeit eingefangen hat, saß er inmitten einer geifernden Meute von Musterschülern. Das konnte er nur noch mit standhaftem süßsaurem Lächeln quittieren. Heinz Pohl, immerhin Professor an der renommierten Ostberliner Hochschule für Ökonomie „Bruno Leuschner“, war eigens in den Westberliner Reichstag gereist, um dort mit westlichen Wirtschaftswissenschaftlern über die ökonomische Zukunft seiner Republik zu debattieren. Doch da war er im erlauchten Kreis der „Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale Fragen“, einer Vorfeldorganisation des Bonner innerdeutschen Ministeriums, gerade an die richtige Adresse geraten. Unter den geladenen Gästen gabs bis auf einige Ausnahmen nur einen Mainstream: Abrechnung mit den letzten 40 Jahren DDR und endgültige Siegesfeier der freien Marktwirtschaft, und zwar der richtigen. Finanzierungsprobleme des Sozialismus war die lange vorbereitete Tagung am Donnerstag und Freitag betitelt, doch das war nun im November Schnee von gestern: „Wieso Finanzierung?“, fragte unter tosendem Beifall ein Redner am Eröffnungstag, „ich denke, es geht um die Abschaffung.“

Musterschüler Rudolf W. Stöhr, ehemaliger Direktor der Westberliner Fachhochschule für Wirtschaft, wollte seinen minderbemittelten Kameraden Pohl, der sich für den zweiten Tag entschuldigte, gleich zum Nachsitzen in Sachen angewandter Mathematik verdonnern: „Warum lassen Sie morgen ihre Vorlesung nicht ausfallen, hier ist jetzt ihr Platz“ mit der Begründung: „Wie konnten Sie eigentlich jahrelang lehren ohne Statistiken, Herr Pohl?“ Professor Karl Ernst Schenk von der Universität Hamburg warb da eher für Verständnis dafür, daß die ganz grundsätzlichen Dinge eben nicht leicht zu verstehen sind, wenn es mit dem Sprechen noch nicht so ganz klappt: „Demokratie und Staatseigentum verträgt sich nicht. Wir können aber nicht verlangen, daß hier die DDR-Wissenschaftler schon so weit sind, das zu erkennen. Die müssen jetzt erstmal ihre Sprachregelungen finden.“

Deprimierend war freilich, daß Professor Pohl es seinen Kollegen aus der anderen Welt wahrhaft leicht gemacht hatte. Er bestätigte in seinem Diskussionsbeitrag - als Referent waren weder er noch andere DDR-Ökonomen von der gesamtdeutschen Forschungsstelle geladen - all das, was dieser Tage über seine Branche in der DDR in Umlauf ist: Keiner weiß, wo es langgeht, auch nicht, wo es langgehen soll. Ob der Markt in der DDR-Ökonomie künftig „als zu berücksichtigende Bedingung oder als Regulator anzusehen ist“, darüber fange man just „diese Woche an zu diskutieren“. Immerhin: „Ich meine, als Regulator.“ Im übrigen müsse man davon ausgehen, daß „die Nachfrage objektiv die Produktion regelt“, denn entsprechende Produktion ohne Nachfrage sei sinnlos.

Auch wenn sie marktwirtschaftlichen Willens sind, so dürfte es für die jetzige Generation von DDR -Wirtschaftswissenschaftlern sehr schwer sein, über ihren planwirtschaftlichen Schatten zu springen. Pohl will zwecks Steigerung der Ausfuhr, daß die staatlichen Organe künftig stärker prüfen, was noch alles exportfähig sei. Das rief den West-Professor Schiller auf den Plan mit dem Vorwurf des „Konstruktivismus“. Die Exportfähigkeit zeige sich an der tatsächlichen Ausfuhr, da gebe es staatlicherseits nichts zu prüfen.

Dr. Doris Cornelsen, DDR-Expertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW, Berlin), einer der sachlichen Lichtblicke in der Debatte, wandte sich in scharfer Form gegen die hiesige Diskussion über eine Währungsreform in der DDR. Diese sei „unverantwortlich und man kann jede Währung kaputtmachen, wenn man nur lange genug darüber redet“. Wenn der Kaufkraftüberhang von 150 Milliarden Ost-Mark auf den DDR-Konten die Grundlage für derlei Überlegungen sei, so könne man sicherlich auch ein schönes Chaos ausrichten, indem man einmal für längere Zeit das bundesdeutsche Sparvolumen von rund 2.000 Milliarden D-Mark in der Bundesrepublik ins Gerede bringe. Auch Cornelsen gestand ein, daß die Staatsbank der DDR tätig werden müsse. Um, z.B., die Spargelder produktiven Zwecken zuzufügen, solle man sie in langfristige Staatsanleihen umwandeln.

Professor Gernot Gutmann von der Forschungsstelle wollte hier lieber gleich in die Vollen gehen: Das Problem des Geldüberhanges löse sich sofort, wenn die Volkseigenen Betriebe (VEB's) in Aktiengesellschaften umgewandelt seien. Dann könnten mit dem brachliegenden Geld Firmenanteile übernommen werden. Gutmann bekam Schützenhilfe von kompetenter Seite. Gerd Biro, ehemaliger Präsident der ungarischen Industrie- und Handelskammer, empfahl, aus den Erfahrungen von 20jähriger Halbherzigkeit in Ungarn zu lernen. Man müsse gleich die Börse einführen, wie auch einen Kapitalmarkt. Das heutige DDR-System, nach dem die für den Geldumlauf verantwortliche Zentralbank auch gleich die Kreditvergabe an die Unternehmen vornehme, sei nicht praktikabel. Inwieweit ein Wirtschaftsprojekt kreditwürdig ist oder nicht, könne letztendlich nur ein System konkurrierender Banken entscheiden.

Während Cornelsen für die Furcht der DDR vor einem anstehenden Ausverkauf durch ausländische Firmenübernahmen Verständnis aufbrachte, und zur Kooperation lieber die demnächst einzusparenden Rüstungsgelder einsetzen wollte, konnte der Münchner Finanzwissenschaftler Günter Hedtkamp mit dieser Angst nichts anfangen. Wenn in der DDR Bedenken gegen ausländische Unternehmensbeteiligungen vorherrschen, dann müsse man die Diskussion in der BRD dagegenhalten. Hier werde immer dann Alarm geschlagen, wenn die ausländischen Direktinvestitionen zurückgingen. Dann heiße es, der Standort Bundesrepublik sei in Gefahr. Das Beispiel Ungarn zeige im übrigen, daß die Beteiligungen ausländischer Unternehmen nur schleppend vorankämen. Man sei deshalb ständig bemüht, das jetzige Volumen von einer runden dreiviertel Milliarde Dollar auszuweiten. Düsteres hatte Rosemarie Schneider von der Forschungsstelle über den Verkehrssektor im Lande zu berichten. Mangels Erneuerungsinvestitonen seien die Eisenbahnanlagen teilweise „verrottet“ und demgemäß störanfällig. Die wachsenden Schwierigkeiten beim Eisenbahn- und Straßen-Güterverkehr würden nach DDR-Angaben mittlerweile zu jährlichen volkswirtschaftlichen Verlusten von vier bis sechs Milliarden Ost-Mark führen. Schneiders kurzfristig zu realisierender Vorschlag: Die Bundesrepublik solle der DDR eine größere LKW-Flotte ausleihen.