Der Wert von Freundschaftsspielen: Klassiker der größten Langeweile
Nach dem torlosen Remis in England und vor dem Duell gegen Frankreich: Machen solche Freundschaftsspiele überhaupt Sinn?
Das Sightseeing-Programm hat den Protagonisten nach der Nullnummer im Klassiker gegen England am Freitag und vor dem Kehraus gegen Frankreich am Dienstag (20.45 Uhr/ARD) gut gefallen. An der Schnellboot-Haltestelle am Westminster-Pier angekommen, entstanden alsbald nette Bilder von in regenfesten Jacken verpackten Kickern, die über den breiten Fluss jagten.
„Ich war schon hundertmal hier und habe noch nichts gesehen“, verriet Mats Hummels, der als souveräner Abwehrchef zuvor dafür gesorgt hatte, dass die Dienstreise auch sportlich in halbwegs geordneten Bahnen ablief. Und die DFB-Auswahl im 20. Länderspiel hintereinander ungeschlagen ist.
Und doch stellt sich immer mehr die Frage, inwieweit solche Freundschaftsspiele wirklich zum Lackmustest taugen. Noch bevor am Sonntagmorgen der Teamcharter nach Köln ging, hatte Bundestrainer Joachim Löw seine Erwartungen für das letzte Länderspiel des Jahres gegen den Franzosen formuliert: „Es ist für mich wichtig zu sehen, auf welchem Level sich die Spieler befinden und wie sie gegen solche Gegner bestehen.“ Es kommt am Rhein ja immerhin zur Neuauflage des irgendwie unnötig verlorenen EM-Halbfinals 2016, und doch steht für Löw das Testen erneut „über dem Ergebnis“.
Derlei Maßgabe, die den DFB-Trainer mit den Kollegen Gareth Southgate (England) oder Didier Deschamps (Frankreich) verbindet, ist stets mit dem Risiko behaftet, dass die vielen personellen Kompromisse die schönen Masterpläne über den Haufen werfen. Die deutsche Kundschaft wird daher bei Freundschaftsspielen immer kritischer: Obwohl das so flinke wie junge französische Team zum vielversprechendsten zählt, was Europa zu bieten hat, sind in Köln erst 30.000 Karten verkauft.
Müder Kick
In London waren letztlich 81.382 Zuschauer für den Auftritt des Weltmeisters ins Wembley-Stadion gepilgert. Der Bundestrainer räumte im kinoähnlichen Pressesaal ein, dass auch ihn der Klassiker in der Kathedrale „nicht vom Hocker“ gerissen habe. Und: „Die Zuschauer hätten gerne Tore, einen offenen Schlagabtausch gesehen – das war es nicht.“ Der 57-Jährige selbst erinnerte an Prestigeduelle „mit einer ganz anderen Emotion, mit strittigen Entscheidungen, knappen Ergebnissen“. Diesmal war es ein eher „nüchternes Spiel“, so Löw.
Und weil deshalb der Spannungsbogen von „recht ansprechend“ in „ziemlich fad“ überging, vertrieben sich die Menschen auf den roten Schalensitzen wie schon in Englands Länderspielen zuvor die Langeweile damit, Papierflieger Richtung Innenraum zu werfen. Schaffte es einer bis auf den heiligen Rasen, brandete Beifall auf.
Der ausgewechselte Timo Werner, der in der ansprechenden ersten Halbzeit in einer Art Privatduell zweimal am herausragenden Torwarttalent Jordan Pickford gescheitert war, wunderte sich mächtig über die skurrile Begleiterscheinung. „Ich wusste erst gar nicht, warum. Bis ein Flieger knapp über meinen Kopf ging und alle gejubelt haben.“
Werner im „schwierigsten Monat“
Der Stürmer von RB Leipzig sagte übrigens, er würde gerne auch gegen die Franzosen auflaufen. „Ich habe jetzt genug pausiert.“ Mal sehen, ob Löw diese Steilvorlage annimmt. Tunlichst ist der Badener im „schwierigsten Monat“ (Manager Oliver Bierhoff) darauf bedacht, die Belastung einigermaßen gerecht zu verteilen. Toni Kroos und Sami Khedira dürften morgen die Doppel-Sechs bilden.
Wenn auch der Versuch mit Ilkay Gündogan und dem zurückhängenden Mesut Özil nicht völlig misslang, stellt er in einem K.-o.-Spiel einer WM eher keine Option dar. Für den Bundestrainer bleibt elementar, „dass wir am Ende der Saison eine Höchstleistung herauskitzeln“. Sprich: bei der WM 2018 in Russland. Unter dieser Prämisse wird verständlich, dass deutsche Nationalspieler am Wochenende mal das getan haben, was die Millionen Touristen tun: ins besondere London-Flair eintauchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“