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Der Weihnachtskasten

■ Im praktischen Doppelpack mit dem Nachweihnachtsfeiern

Es weihnachtet. Die Konzertsaalbühnen sind still und verlassen. Leise rieselt kalte Zigarettenasche auf dem 357 Tage abgetretenen Parkettböden. Nicht mal das Notausgangsschild glimmt. Tannenbäumchen ducken sich fromm in den umliegenden Vorgärten und warten untätig auf leere Bierflaschen und Pommestüten (oder ißt man die hier nicht aus Tüten?).

Und selbst in WHV beginnt alles erst um 0 Uhr. Dann ist der Heilige Abend aber schon vorbei. Zur christbaumseligen Geisterstunde schreitet Herr Norbert Schwefel aus Mannheim auf die norddeutsche Bühne. Herr Schwefel war gestern schon im Bremer Römer und hört gern Marc Bolan, T. Rex und Marc Almond (das zeugt definitiv von Geschmack). Glam & Glitter und Heavy-Schrilles von Norbert also ganz zu Beginn dieser wunderbaren Freß-und Fernsehtage.

Wem schon am 1. Feiertage im hauseigenen Spiegel Unförmiges schwant (Resultat des Verzehrs von Enten, Gänsen, Karpfen, Schokoplätzchen, Stollen, Klößen, Zuckerkringeln, Dominosteinen&Co.), der geht um 20 Uhr ins Moderne und lupft vorsichtig die zwei ihm üblicherweise zur Verfügung stehdenden Tanzbeine zu Raoul Vandetta & Soulfingers. Raoul Vandetta heißt eigentlich Theo Spanke (das erlesen bekloppte Pseudonym ist eine Lieblingsidee des Herren Schrumpf von der Firma Wunschklang, die der Soulfingers erste ganz eigene Lang-Platte „Vabanque“ herauszugeben beliebte, was eine nicht ganz so schlechte Idde war, da „Vabanque„-Stücke mächtig im Radio gedudelt und nicht schlecht verkauft werden) und kommt aus einer gräßlich adrett doofen Kleinstadt namens Schwerte. Die liegt direkt neben Dortmund und steht für Langeweile und gepflegte Vorgärten. Theo aber ist derweil echter Dortmunder und hochgradig unlangweiliger Medizinstudent und kann so dreckig singen, wie sonst nur die Schwerter Mülltonnen. Theo nämlich singt den Soul. Wer das mag, hat Sonntag ordentlich Spaß mit den Soulfingern. Sie machen eine fröhliche Bühnenshow, glimmern in den geschmacklosesten Pailettenjacketts und bemühen sich mit Gogo-Girls, Sonnenbrillen, der Jericho Horn Section und dem ganzen Soul-Gehabe noch ganz altmodisch um 'gute Stimmung‘. Sehr tanzbar auch.

Zum 2. Feiertag schäle sich der ein oder andere aus dem Fernsehsessel und stapfe (durch Schneeflöcklein?!?) zum Kairo und gegen 20 Uhr in die Reuterstr. nach Walle. Da 'hipt‘ es wieder ganz ungemein mit den Hard Bioled Man Goes (umbesetzt), den The Perc Meets The Hidden Genteleman (Geburtstagskinder), den Vee-Jays (mit Farfisa-Orgel aus den Sixties und dem angenehmen 'shouter'-Sixties-Stimmchen von James D. Blitzstein - sehr hübsch, sehr straight, sehr aztek -camera-pathetisch, Musikpfadfinder auf der Suche nach den Ursprüngen), Alpha Halley Meets Dr. Aga (experimentell und der traditionellen Allstar-Combo The Crippenspiel. Obendrauf gibt's Videos von Tödliche Doris, Residents u.a.m.. Sehr fein.

Am 3. Feiertag, o.k., am 1. Werktag nach Weihnachten dann Tonight - The Fight. Unter solch mächtig weihnachtlicher Überschrift lädt die Schauburg zum Behören und Betanzen von III. Art (Jazziges, angeblich wie die wunderbaren Lounge Lizards), The Dry Halleys und Tommy T. (hiphop). Blue Box zeigt internationale Kunst-und Musikvideos her. Alles Schöne ab 21 Uhr.

pH

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