Der Wandel

Die deutsche Wirtschaft steckt noch mitten in einer tiefgreifenden Krise. Psychostrukturell kann man von einer „Rezessionskultur“ sprechen, ich meine eher von einer Schock-Gesellschaft. Die traditionelle Leistungsgesellschaft der Nachkriegszeit mit ihren klaren Werthaltungen gehört der Vergangenheit an. Werte wie Disziplin und Hierarchie wirken heute merkwürdig antiquiert. Die wirkliche Ursache der wirtschaftlichen Rezession liegt im Nichtanerkennen grundsätzlich anderer Wertvorstellungen, denen die Wirtschaft nicht nachgekommen ist, weil sie sie nicht kannte. Die neuen Werte sind vielgestaltig, paradox, vernetzt und nicht leicht zu durchschauen. Einige plakative Headlines – ohne Vollständigkeit – mögen die Trends skizzieren. Es boomt in rezessiven Zeiten alles Billige, das nicht den Geruch des Ärmlichen hat. Rezessionskultur ist auch die Krise der klassischen Marken. Die Zeremonie des Reichtums ist out, Schlichtheit erhält einen Luxuskoeffizienten. Es wird die Reduzierung auf das Wesentliche gesucht, der moralische Konsument. Die Industrie zeigt eine Art Placebo- Ökologie. Girls-Revolution steht vor der Tür, individuelle Ekstase, Erlebnisintensität, aber auch Sehnsucht nach Wurzeln und Herkunft. Auch die Familie gewinnt Terrain zurück. Bei den tatsächlich Erwachsenen gerät Erwachsensein immer mehr in Verruf. Die Alten rächen sich am Jugendkult, indem sie ihn einfach klauen. Das Wort verblaßt, die multimediale Generation ist im Kommen. Die Jugend hat das Gefühl, daß ihre Eltern kreativer waren als sie. Daraus entwickelt sich eine Mentalität des Rückzugs. Künstliche Wirklichkeiten entstehen – Erfahrungen werden erzeugt, die nicht wirklich selbst gemacht werden. Polykulturelle Gesellschaft: fragmentarisch, paradox, unversöhnlich. Identitätsuniversen lösen sich vom Festland und driften in unberechenbare Richtungen davon, die Welt gerät ins Fließen Jürgen Kleiber-Wurm

Professor Jürgen Kleiber-Wurm lehrt an der Fachhochschule Münschen das Fach Marketing und leitet als geschäftsführender Gesellschafter die „Meta-Marketing GmbH“ in München. In seinem Büro entstanden auffallende, neue Werbekonzept für Südtirol, Tirol und Voralberg und der neue Robinson-Katalog.