: Der Volltreffer
Das patriotische, vertrackt ideologische Kino ist nun doch wieder auf Sendung: Der neue Arnold-Schwarzenegger-Film „Collateral Damage“
von MANFRED HERMES
Nach dem 11. 9. ist viel über die prognostischen Leistungen amerikanischer Filme geschrieben worden. Gewisse Handlungen und Bildideen, die gerade in letzter Zeit etwa in „A.I.“ oder „Kennwort Swordfish“ entwickelt wurden, schienen den aktuellen Ereignissen gespenstisch nahe zu kommen. Auf einmal hatten sich die Verhältnisse aber verkehrt und die realen Ereignisse dominierten eine bis dahin konkurrenzlose Kinofantastik. Man kann sich noch gut erinnern, wie sich diese Umkehrung schlagartig als Bild- und Fiktionsverbot niederschlug.
In diesem Zusammenhang wurde immer wieder auf „Collateral Damage“ hingewiesen. Auch der neue Schwarzenegger-Film galt als thematisch einfach zu nah dran, um noch als der gewöhnliche, bombastische Action-Adventure-Thriller durchzugehen, der er eigentlich ist. Folglich landete er zusammen mit einer Reihe anderer US-amerikanischer Verdächtiger auf einer schwarzen Liste von Filmen, die auf absehbare Zeit nicht oder „so nie wieder“ in den Verleih gehen würden.
Nun, da fast alles wieder beim Alten und die Schamfrist abgelaufen ist, hat eine gern mit Paranoia arbeitende Eventkultur wieder ganz zu sich selbst gefunden und kann auch an Filmen wie Andrew Davis’ „Collateral Damage“ nicht mehr allzu viel Anstößiges finden.
Bei einem terroristischen Bombenanschlag in Los Angeles werden die Frau und der Sohn von Feuerwehrmann Brewer getötet. Die Geheimdienste und Polizeiorganisationen tun den Vorfall als Kollateralschaden ab, dessen abschließende Ermittlung momentan nicht in die politische Landschaft passe. Im Stil einer Beamtenschelte werden die mehrfach um die Ecke konspirierenden Bundesbehörden als zu langsam, zu ineffizient oder als geradezu absichtsvoll obstinat beschrieben. Brewer bereist den kolumbianischen Dschungel also auf eigene Faust, findet sich bald im „Guerillagebiet“ ein, wo er seinerseits einigen kollateralen Schaden anrichtet. Der Begriff Kollateralschaden wurde vom US-Militär seit dem Golfkrieg verwendet für möglicherweise ungeplante, vom Kriegsrecht jedenfalls nicht gedeckte, aber in Kauf genommene Kriegsopfer unter der Zivilbevölkerung, die im Übrigen hinter dem Medienschirm verborgen bleiben.
Als Titel zeigt dieser Euphemismus direkt in eine Welt des doppelten Maßstabs und selektiver Moral, die für die Kriege der letzten Jahre nicht weniger gilt wie für diesen Film. Was immer es an Kollateralschäden vor Amerikas Haustüren und in seinen Hinterhöfen geben mag – ausschlaggebend ist hier allein der Schaden, der auf dem eigenen Boden, im Herzen der amerikanischen Kleinfamilie angerichtet wird und der aus Tätern Opfer macht.
Selbst der große Action-Film muss sich inzwischen aber schwierigsten Diversitäten stellen. Der Pressetext formuliert es so: „Je tiefer er sich im Netzwerk des internationalen Terrorismus verstrickt, desto undurchschaubarer werden die Grenzen zwischen Freund und Feind.“ Deshalb wird den Terroristen aus dem Süden ein halbes Ohr geschenkt, und sei es auch nur innerhalb der Ökonomie dramaturgischer Aufschübe und Wendungen: „Ihr Amis seid so naiv! Wenn ihr einen Bauern mit Gewehr seht, dann seht ihr nur einen Bauern mit Gewehr. Ihr fragt euch nicht, warum er dieses Gewehr trägt.“
Brewer ist bereit, mit dem Dilemma von Widersprüchen zu leben, aber als Feuerwehrmann ist sein Feld nicht Politik oder Gerechtigkeit, sondern Humanität. Er ist nicht nur dazu da, verschüttete Menschen zu retten, sondern eine verschüttete Menschlichkeit, und sei es als Rächer. Der Versuch der Annäherung und Verständigung zwischen den Gegnern wird also angetippt, aber bald als unrealistisch verworfen.
Denn Amerikaner mögen vieles sein, vielleicht sogar naiv, aber sie wissen, wann ein politischer Kampf ein legitimer ist. Die hier agierende Freiheitsbewegung kann jedenfalls nur eine in Anführungszeichen sein, da sie mit harten Drogen finanziert wird und zivile US-Opfer in Kauf nimmt. Das Gute im Menschen zu behaupten und es vor allem im Amerikaner exemplarisch zu finden, das ist der Trick von „Collateral Damage“. Humanität und Rache, Anarchie und Patriotismus, Kalkuliertheit und Naivität, das kann es alles auf einmal geben.
Mit anderen Worten: So übel wäre es gar nicht gewesen, wenn dieses patriotische, vertrackt ideologische Kino tatsächlich einmal eine Auszeit bekommen hätte.
„Collateral Damage“. Regie: Andrew Davis. Mit Arnold Schwarzenegger, Elias Koteas, John Leguizamo, John Turturro, Francesca Neri. USA 2001,105 Min.
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