: „Der Verräter, Stalin, bist Du“
Eine Studie über Münzenberg ■ Von Elke Schubert
Am 22. Oktober 1940 erschien in einer französischen Tageszeitung die kurze Meldung über den Tod eines Flüchtlings: „Zwei Bergjäger fanden am Fuß einer Eiche im Wald von Caugnet die Leiche eines Mannes. Der Tod scheint schon vor einigen Monaten eingetreten zu sein. Der Unbekannte hat sich wahrscheinlich erhängt, da noch ein Teil eines Strickes um seinen Hals geschlungen war. Die Gendarmerie von Saint Marcellin untersuchte den Fall und stellte fest, daß der Tote ein gewisser Willi Münzenberg war, 51 Jahre alt, ein in Erfurth geborener Schriftsteller.“
Um den Tod von Münzenberg, bis zur Machtübernahme der Nazis 1933 Deutschlands „roter Pressezar“, Herausgeber der 'Arbeiter Illustrierten Zeitung‘ und anderer auflagenstarker Presserzeugnisse, Gründer eines linken Verlages, der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH), einer Filmgesellschaft und unbequemes Mitglied des KPD-Zentralkomitees, ranken sich zahlreiche, oft abenteuerliche Gerüchte. War es wirklich Selbstmord, wie die französische Polizei am Ende einer oberflächlichen Untersuchung feststellte, oder hatte ihn der stalinistische Geheimdienst oder Hitlers Gestapo umgebracht? Für die französische Polizei war er einer der vielen Emigranten, die sich 1940 auf der Flucht vor der heranrückenden deutschen Armee im Süden Frankreichs aufhielten, in der Hoffnung auf ein Visum für Afrika oder die Vereinigten Staaten.
Harald Wessen, DDR-Wissenschaftler und Autor, hat nun eine Untersuchung über die letzten sieben Lebensjahre Münzenbergs vorgelegt. In der ehemaligen DDR galt Münzenberg als „trotzkistischer Verräter“ und „anglo-amerikanischer Spion“; erst in den letzten Jahren hat die Forschung im Osten seine späte Rehabilitierung eingeleitet. Wessel, der fünfzehn Jahre über Münzenberg geforscht hat, legt nun Dokumente vor, von denen einige erst kürzlich zugänglich gemacht worden sind, wie beispielsweise das jahrzehntelang verschwundene Protokoll der Gendarmerie in St. Marcellin vom 18. Oktober 1940. Schwerpunkt von Wessels Untersuchung ist nicht die Klärung der Todesursache, sondern Münzenbergs entnervende Auseinandersetzung mit der KPD-Führung und die vergeblichen Versuche der Nazis, ihn in ihre Gewalt zu bekommen. Für ersteres stand ihm die umfangreiche Handakte Wilhelm Piecks zur Verfügung, für letzteres Spitzelberichte der Gestapo. Die Lektüre des Buches gerät wegen der zahlreichen Dokumente etwas mühsam, aber der Autor bringt Licht in die unsäglichen Intrigen innerhalb der KPD-Führung, die letztendlich im antifaschistischen Widerstand wegen der Unfähigkeit, ihre Politik den Verhältnissen anzupassen, versagt hat. Gleichzeitig wird dem Leser ein Münzenberg präsentiert, der nicht frei von Zweifeln, aber keineswegs ein Verräter war.
Am Tag nach dem Reichstagsbrand flüchtete Münzenberg aus Deutschland und hielt sich zunächst im Saarland auf, dessen Bevölkerung zwei Jahre später für den Anschluß an das Reich stimmen sollte und ihn ins Pariser Exil zwang. Während des Reichstagsbrandprozesses gegen Dimitroff und andere führte der Propagandist der Linken gegen den Propagandisten der Nazis — Goebbels — einen erbitterten Kampf, den er für sich entscheiden konnten. Das berühmte Braunbuch über den Reichstagsbrandprozeß erschien in vielen Sprachen, und Dimitroff mußte mit Rücksicht auf die internationale Öffentlichkeit freigesprochen werden. Das scheint Münzenbergs letzter Erfolg gewesen zu sein, denn für den verhafteten Ernst Thälmann konnte er nichts mehr tun. Die Nazis hatten aus ihrem Scheitern beim Reichstagsbrandprozeß gelernt und vermieden eine Anklage gegen den Kommunisten, den sie in einem Konzentrationslager verschwinden ließen und kurz darauf ermordeten. Auch war es eine eklatante Fehleinschätzung Münzenbergs und vieler Antifaschisten, den Röhm-Putsch 1934 als günstige Voraussetzung für einen revolutionären Aufstand in Deutschland zu interpretieren. Ganz im Gegenteil wurde die faschistische Regierung durch die Ausschaltung der SA stabilisiert.
1935 stand Münzenberg vor den Scherben seiner politischen Arbeit: Die Internationale Arbeiterhilfe, die er ins Leben gerufen hatte und die in den Hungerjahren 1921/22 mit Millionenspenden der sowjetischen Bevölkerung helfen konnte, wurde von Stalin aufgelöst, und die ehemaligen Spender lebten jetzt im Exil am Rande des Existenzminimums. Kaum in Paris angekommen, stürzte er sich in die Volksfrontarbeit, wobei ihm die Kontakte zu den zahlreichen, aus Deutschland geflüchteten Intellektuellen und Schriftstellern zugute kamen, die er für seine Idee begeistern konnte. Auch das Zentralkomitee der Partei in Moskau war zunächst mit seiner Arbeit einverstanden, und der Erfolg der Volksfront bei den französischen Wahlen schien die eingeschlagene Linie zu bestätigen. Doch nachdem das Jahr 1936 so erfolgreich für die Linke begonnen hatte, folgte eine Niederlage nach der anderen: In Spanien putschten die Francisten, die olympischen Sommerspiele in Berlin stärkten Hitlers internationales Ansehen, und in Moskau endete der erste große Schauprozeß mit dem Todesurteil für alle 16 Angeklagten. Mit ihrer Hinrichtung wurde die Volksfrontidee gleich mitbegraben, „denn welcher Sozialist, Sozialdemokrat, Anarchist, christliche Humanist, Pazifist oder bürgerliche Antifaschist sollte Zutrauen zum Bündnisangebot von Kommunisten haben, deren Moskauer Zentrale der Welt solche Monstrositäten zumutete“ (Wessel).
Genau das hat Münzenberg sehr klar erkannt, als er den Vorschlag Dimitroffs ablehnte, für eine Weile in Moskau zu arbeiten; sein Platz war in Paris, wo er versuchen wollte, den angerichteten Schaden zu begrenzen. Aufschluß über die Schwierigkeiten bei den Verhandlungen mit den enttäuschten Vertretern linker Gruppen geben bisher unveröffentlichte Protokolle von Treffen, an denen auch der Kommunist Herbert Wehner und führende Sozialdemokraten teilnahmen.
1936 waren die Bemühungen um eine gemeinsame Plattform endgültig zum Scheitern verurteilt, vor allem weil der Hardliner Walter Ulbricht sich jetzt aktiv in die Volksfront-Arbeit in Paris einmischte. Münzenberg weigerte sich weiterhin, nach Moskau zu fahren, flüchtete sich in eine langwierige Krankheit und schrieb sein wichtigstes, aber auch umstrittenes Buch Propaganda als Waffe. Wessel vermutet, daß Münzenberg wegen des zweiten Moskauer Schauprozesses, auf dem sein Freund Karl Radek zum Tode verurteilt wurde, seine ursprüngliche Absicht änderte, ein Buch über seine eigenen Erfahrungen als Propagandist der Linken zu schreiben. Stattdessen analysierte er die Nazi-Propaganda und deren politischen Stellenwert in der faschistischen Bewegung.
Obwohl er zahlreiche Bücher mit Aufsätzen von Radek veröffentlicht hatte, existiert keine Stellungnahme Münzenbergs zu den Prozessen in Moskau, vielmehr war seine Haltung ambivalent; Grund genug, um den Intrigenapparat gegen ihn in Gang zu setzen. Zunächst sollte er auf Betreiben Ulbrichts aus dem Volksfrontausschuß ausgeschlossen werden, was aber an der Solidarität der anderen Mitglieder scheiterte. Die Forderung, in Moskau die Unstimmigkeiten zu klären, wurde immer dringlicher. Münzenberg rettete sich in Ausflüchte, und es ist zu vermuten, daß ihm nach den beiden Schauprozessen das Risiko zu hoch war. Weil er sich nicht äußerte, konnten Gerüchte und Verleumdungen ins Spiel gebracht werden, die letztlich den Gegnern seinen Ausschluß aus dem Zentralkomitee erleichterten. Erst jetzt nahm er zu den Vorwürfen Stellung, aber „wie alle Wahrheitsfanatiker und emotionalisierten Aufklärer begeht Münzenberg den Fehler, die Gerüchte widerlegen zu wollen, ... ohne offenbar zu bemerken, daß er damit substantiell wie psychologisch in Ulbrichts Sudeltopf ein- bzw. in dessen Schlammgrube hinabsteigt“ (Wessel). Mit dem Ergebnis, daß er nicht nur von den Nazis bespitzelt wurde, sondern auch von seiner eigenen Partei. Genossen verwickelten ihn scheinbar teilnahmsvoll in private Gespräche, fertigten Protokolle an und ließen sie über Ulbricht direkt in die Sowjetunion weiterleiten.
In ihrer Ausgabe vom 10. März 1939 veröffentlichte die Pariser Exilzeitung 'Die Zukunft‘ Münzenbergs Austrittserklärung aus der Kommunistischen Partei, die in Wessels Buch zum ersten Mal nach dem Originalmanuskript dokumentiert wird. „Meine Erfahrungen in den letzten Jahren haben mich überzeugt, daß es unmöglich ist, innerhalb der heutigen Kommunistischen Partei, ... politische Meinungsverschiedenheiten auszutragen. Ohne eine solche Möglichkeit aber ist die Zugehörigkeit zu einer Partei eine Fiktion und eine Farce. ... und da andererseits die Verhältnisse in Deutschland und die Zuspitzung der internationalen Krise den Einsatz jedes einzelnen erfordern, zwingen mich meine politische Vergangenheit, mein sozialistisches Verantwortungsbewußtsein und mein Temperament, mich von einer Organisation zu trennen, die mir eine politische Arbeit unmöglich macht.“
'Die Zukunft‘ war Münzenbergs letztes publizistisches Projekt und konnte sich nur zwei Jahre über Wasser halten. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt 1939 ließ Münzenberg die letzte Rücksicht gegenüber Stalin fallen und schrieb den Artikel „Der russsiche Dolchstoß“, eine Abrechnung mit der sowjetischen Politik, die mit den Worten endete: „Der Verräter, Stalin, bist Du.“
Spätestens nach seiner Anklageschrift gegen Stalin saß Münzenberg in der Falle: Wie die meisten Exilanten war er einem Aufruf der französischen Regierung gefolgt und hatte sich freiwillig internieren lassen. Als die deutsche Armee weiter in den Süden vorrückte, flüchteten die Gefangenen zu Tausenden in Richtung Marseille. Gleichzeitig mußte er die Rache von Stalins GPU fürchten, die ihre Abtrünnigen gnadenlos verfolgte, vor allem wenn sie sich öffentlich gegen die Partei gewendet hatten. Über seine letzten Lebenstage existieren widersprüchliche Zeugenaussagen; sicher ist lediglich, daß er mit einer großen Gruppe Gefangener aus einem südfranzösischen Internierungslager aufbrach und sich von ihnen trennte, weil nach seiner Meinung die Flucht in kleinen Gruppen mehr Erfolg versprach. Er wollte sich mit zwei anderen Gefangenen ein Auto mieten, um die Flucht in die Schweiz zu wagen, was jedoch nicht gelang.
Am 21. Juni 1940 wurde er zuletzt gesehen. Wessel unterstützt anhand der Dokumente und des 1988 erschienenen Buches eines der Weggefährten Münzenbergs eindeutig die Selbstmordtheorie, obwohl noch viele Fragen offen bleiben, die fünfzig Jahre nach seinem Tod nicht mehr beantwortet werden können.
Harald Wessel: Münzenbergs Ende. Ein deutscher Kommunist im Widerstand gegen Hitler und Stalin. Die Jahre 1933 bis 1940. Dietz Verlag, 417 S. mit zahlreichen Faksimiles, Leinen
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