berliner szenen: Der Vermieter
Liebt es schroff
Mein Vermieter, Herr H., ist fester Bestandteil unseres Familienlebens. Moritz schließt Herrn H. in sein ganz persönliches Abendritual ein; quasi sein Ersatz fürs Beten. Jeden Abend, nach dem Gutenachtkuss, ruft er mich noch mal in sein Zimmer: „Mama, wenn der Herr H. bohrt, dann musst du mit ihm schimpfen, ja? Ich kann sonst nicht schlafen.“ Mea culpa: Jedes Mal, wenn irgendwelche Handwerker in unserem Haus rumlärmten, habe ich der Einfachheit halber die Schuld auf ihn geschoben. Was nicht so abwegig ist, denn Herr H. greift gern selbst zum Bohrer, allerdings nicht besonders erfolgreich. Unsere Flurdecke ziert ein zirka fünf Zentimeter großes Loch. Ich weiß nicht, wie er das geschafft hat. Auch sonst hat er keine glückliche Hand in handwerklichen Dingen. Als er das Bad über uns renovierte, beschloss er, das Abflussrohr, das intelligenterweise vor hundert Jahren durch unsere Baddecke gelegt wurde, zu entfernen und gleichzeitig die Verstopfung im Rohr zu beseitigen. Die Folge war eine ekelhafte Überschwemmung in unserem Bad, die ich Herrn H. auf Knien reinigen ließ. Dabei kamen Worte aus meinem Mund, die ich hier lieber nicht wiedergeben möchte, die mir bei Herrn H. aber anscheinend Respekt verschafften. Er scheint Erniedrigungen zu lieben, seitdem lasse ich ihn auch nie einen Satz zu Ende reden und bin unfreundlich zu ihm. Er scheint sehr einsam zu sein und will mir immer von seinen Gerichtsterminen mit ehemaligen Mietern oder von seinen russischen und polnischen Handwerkern erzählen, aber er kommt nicht weit. „Sagen Sie mir endlich, was Sie von mir wollen, und dann lassen Sie mich in Ruhe“, keife ich ihn an und genieße dabei seinen schuldbewussten Blick. Wir ergänzen uns prächtig. ELKE ECKERT
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