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Der Verlobungsring als Beutegut

In Frankfurt stellte die Polizei am Wochenende sichergestellte Gegenstände aus. Einbruchsopfer sollten das Diebesgut wiedererkennen, sonst bleibt es im Besitz der Tatverdächtigen  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

„Hier keine Hundeausstellung“, klärte die Polizei mit einem Schild die anrückenden Familien auf. Die Hundeschau war nebenan. Doch die Familien fanden die „Beuteausstellung“ am Wochenende im Durchgang zur Halle 1 auf dem Frankfurter Messegelände mindestens genauso spannend. Einbruchsopfer sollten hier wiederfinden, was ihnen Diebe im Lauf der letzten vier Jahre bei Wohnungs- und Geschäftseinbrüchen gestohlen hatten.

Von rund 2.000 BesucherInnen, die die 1.500 Exponate sichteten, wurden 50 fündig und erkannten 110 Teile wieder. Jarmilla Gilser ist aufgeregt. Immer wieder sagt sie: „Ich zittere so sehr.“ Eine Krawattennadel ihres verstorbenen Vaters hat sie entdeckt und ihren eigenen Verlobungsring. Der Familienschmuck im Wert von 400.000 Mark war ihr Erbteil, weil sie als einzige der drei Töchter „so daran hing, und weil ich das Verständnis dafür hatte“. Nach dem Einbruch hat sie ihn überall gesucht, ist zu Versteigerungen in Leihhäuser gegangen, hat in An- und Verkaufsläden gestöbert. „Ganz schön beschissen“ hat sie sich gefühlt: „Ich habe gedacht, die Welt geht unter.“ Was ihr da gestohlen wurde, das, sagt sie immer wieder, „ist nicht das Geld, das ist die Erinnerung“.

Besonders gut geht es auch Horst Schmidtmann vom Einbruchsdezernat nicht, wenn er auf die Vitrine 24-01 blickt. Die ist angefüllt mit protzigen Pretiosen im Wert von ungefähr einer Million Mark. Sie stammen aus dem Tresor eines Tatverdächtigen und müßten an ihn zurückgegeben werden, wenn sie nicht identifiziert und einer Straftat zugeordnet werden können. Sein Kollege, Kriminalkommissar Friedrich Schmidt, sagt säuerlich: „Dann kriegen die noch Brief und Siegel von der Polizei, daß sie die rechtmäßigen Besitzer sind.“ Aber da sei die Ausstellung vor, die bisher zweite. Die Polizei möchte sie gerne zu einer Dauereinrichtung machen.

Zwei der Stücke aus 24-01 sind von einem Besucher aus Basel wiedererkannt worden. Die in Verdacht stehende Gruppe soll auch dort und in Österreich agiert haben. 1995 sind allein in Frankfurt 5.600 Wohnungseinbrüche mit einem Schaden von rund 45 Millionen Mark registriert worden. Wilhelm Huhn arbeitet in der Kriminalpolizeilichen Beratungsstelle in der Innenstadt. Sein Ausstellungstisch ist immer umlagert. „Viele Leute wollen hier“, hatte Kollege Schmidt vermutet, „auch einfach nur noch mal alles erzählen und ihren Frust loswerden.“ Das wollen sie ausgiebig.

„Die Zerstörung“, sagt eine Geschädigte, sei für sie „das Schlimmste“ gewesen. Na ja, stellt sich dann heraus, so viel war bei dem Einbruch gar nicht zu Bruch gegangen. Was sie meint, ist eher der Schock, die zumindest unterbewußt empfundene Verletzung der Intimsphäre, das Gefühl, „sich in der eigenen Wohnung nicht mehr sicher zu fühlen“.

Denn die Diebe heutzutage, weiß Wilhelm Huhn, sind nicht mehr „Ganoven-Ede vom Kiez“, der noch nachts mit schwerem Werkzeug anrückte. Sie kommen am hellen Tag, zerstören wenig, nehmen fast immer nur Bargeld, Schmuck und Schecks mit und verschwinden wieder. Längere Suchtouren oder Vandalismus können sie sich gar nicht leisten. Dafür arbeitet der Dieb von heute manchmal wie am Fließband. Huhn: „Bei denen macht es die Masse, manchmal machen die 18 Einbrüche am Tag. Wenn sie nichts finden oder auf Schwierigkeiten stoßen, geht es gleich zum Nachbarn.“ Davon weiß die Frau, die ohne Nachbarn am Waldrand des Stadtteils Fechenheim wohnt, ein Lied zu singen. Bei ihr ist gleich zweimal hintereinander eingebrochen worden, Gesamtschaden 100.000 Mark. Sie hat sich gesichert: „Was meinen Sie, wie es jetzt bei uns aussieht? Alcatraz! Wie im Knast!“ Kritisch begutachtet sie ein schweres Metallrollo, in dem Luftlöcher für heiße Sommernächte ausgespart sind. Das sieht gar zu scheußlich aus: „Haben Sie das auch dunkel eloxiert?“ Huhn rät nun doch zu einem Hund. Und warnt vor neuen Gaunern, die teure Billigalarmanlagen anbieten. Da ist es schon mal passiert, daß ein Junge mit dem neuen ferngesteuerten Spielzeugauto durch die Straße fuhr und überall die Alarmanlagen auslöste. Und ein Fehlalarm kostet pro Polizeieinsatz 150 Mark.

Eine junge Frau, die die „Eigentumsumverteilung“ eigentlich immer „ganz korrekt“ fand, hat ihre Meinung geändert, seit bei ihrer Mutter eingebrochen wurde. „Die Wohnung war ihr Rückzugsgebiet. Jetzt fühlt sie sich da auch nicht mehr sicher.“ Für ihn sei, sagt ein älterer Herr, „das schlimmste, daß diese neuen Diebe einfach Banausen sind. Die haben keine Ahnung und raffen alles wahllos zusammen.“

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