piwik no script img

Der Vergessenheit entreißen

■ „Keinem Vaterland geboren“ - Willi Jaspers Börne-Biographie

Über den als Löb Baruch 1786 im Frankfurter Judenviertel geborenen, sich später Karl Ludwig Börne nennenden, 1837 in Paris verstorbenen Literaten gibt es in den maßgeblichen Lexika nur wenig zu lesen. Auch sind sich die Stichwortverfasser darüber uneinig, als was sie, ihrer Katalogisierungssucht folgend, den Börne einreihen sollen: als Dichter, Publizisten, Feuilletonisten oder, wenn ganz diplomatisch, als literatischen und politischen Schriftsteller. Selbst seine wenigen Biographen belassen es bei der Buchtitelfindung so gut wie nie dabei, einfach und bescheiden die Worte „Ludwig Börne“ aufs Titelblatt zu setzen. Meist finden wir schlagwortartige Zusätze: Schon die erste, von Eduard Berumann verfaßte, 1837 erschienene Abhandlung über Leben und Werk Börnes nennt sich Ludwig Börne als Charakter in der Literatur; die nächste 1840 erschienene, von dem Programmatiker des „Jungen Deutschland“ Karl Gutzkow verfaßte, beläßt es bei der Titulatur Börnes Leben, während die von Michael Holzmann 1888 in Berlin erschienene Biographie schon wieder einen Zusatztitel, nämlich: Ludwig Börne . Sein Leben und sein Wirken nach den Quellen dargestellt, trägt. Kommt es dann zu unserem Jahrhundert, benennt Ludwig Marcuse sein Buch über das Leben Ludwig Börnes (Leipzig 1929): Revolutionär und Patriot; Helmut Bock fügt seiner Arbeit (Berlin 1962) die Spezifizierung Vom Ghettojuden zum Nationalschriftsteller hinzu; die 1988 erschienenen, von Inge Rippmann und Wolfgang Labuhn herausgegebenen Neuen Studien zu Ludwig Börne kündigen sich an als Die Kunst

-eine Tochter der Zeit; und die neueste, von Willi Jasper verfaßte Biographie, mit der wir uns hier beschäftigen, nennt sich plakativ Keinem Vaterland geboren - ein Satz, den Börne selbst geprägt hat.

Allein schon diese Auflistung verdeutlicht, daß dem Börne beziehungsweise seinen Schriften ohne eine Charakterisierung nicht in die Nähe zu gelangen ist oder daß sein Bedeutungsgrad inmitten des politischen und literarischen Geschehens seiner oder unserer Zeit verschwommen hinfällg ist. Gewiß, sein Name taucht immer wieder auf, und zwar sobald von Heinrich Heine die Rede ist. Dies weniger, weil die beiden Zeitgenossen sich literarisch befehdeten, sondern vordringlich, weil beide sich ins selbstgewählte Exil nach Frankreich begaben, um von dort aus ihre kritischen Betrachtungen über das sich im ideologischen, politischen und literarischen Umbruch befindende Deutschland zu verbreiten. Im Grunde genommen ist Ludwig Börne als Schriftsteller oder Publizist oder Feuilletonist - wie immer man will - eine längst vergessene Figur im deutschen Literaturkalender, wozu übrigens auch noch die Nazivandalen das Ihre beigetragen haben, alldieweil er ja, zur „Judensippe“ gehörend, der Ausradierung anheimfiel.

Da muß schon ein Gedenktag fällig sein wie sein 200.Geburstag, an dem ihm eine Ausstellung nebst Katalog, Essays und Vorträge in seiner Heimatstadt Frankfurt gewidmet wurden, oder es müssen sich die Literaturhistoriker seiner annehmen wie die verdienstvolle Materialiendurchforsterin Inge Rippmann (Börne-Index, Berlin / New York 1985) oder aber ein an Exilforschung interessierter Germanist wie Willi Jasper, der Verfasser der vorliegenden Biographie, damit erneut auf eine Persönlichkeit in unserer Geschichte aufmerksam gemacht wird, die sich stetig und kämpfend für grundlegende Ideale eingesetzt hat, gleich ob höchstfalls es nur noch Literaturwissenschaftler sind, die zu seinen in den Bibliotheken verstaubenden gesammelten Schriften oder Einzelschriften greifen. Denn es wird mich keiner glauben machen können, daß im gut- oder schlechtbürgerlichen Haushalt auch nur ein Börne-Band neben den obligaten Schillers, Goethes oder Storms steht, obwohl 1981 in der DDR eine zweibändige Auswahl aus seinen Werken erschienen ist.

Eines der Ideale Börnes, das Ideal der politischen und sozialen Freiheit, arbeitet Jasper im Laufe der Lebensbeschreibung mit aller Deutlichkeit heraus, sei es, daß er Börnes Kampf gegen die Zensur und das deutsche Philistertum abhandelt, oder dessen Entschluß, sich im Sommer 1830 wieder nach Paris zu begeben, da er annahm, daß durch die Julirevolution seine Träume von Freiheit und Republikanismus endlich in Erfüllung gehen würden. Schon etwas weniger deutlich tritt bei Jasper Börnes idealistische Haltung der Vaterlandsliebe nach vorn. Heines keineswegs ironisch gemeinte Feststellung: „Ja, dieser Börne war ein großer Patriot, vielleicht der größte, der aus Germanias stiefmütterlichen Brüsten das glühendste Leben und den bittersten Tod gesogen!“, bleibt allzusehr durch den Versuch überdeckt, seinem privaten und öffentlichen Leben nachzugehen.

Draunter leiden auch die Unebenheiten, mit denen der Biograph Jasper Börnes bekannte Briefstelle: „Ich weiß das unverdiente Glück zu schätzen, zugleich ein Deutscher und Jude zu sein“, angeht. Was heißt hier, wie Jasper schreibt, dieser Satz sei „mehr als wehmütige Reminiszenz“? Nein, zum Teufel noch mal, das ist der Kernsatz für die Suche nach jenem Ideal, bei dem zwei in einer Person verwobene Kulturkreise, der deutsche und der jüdische, sich finden können. „Deutscher Jude“ zu sein, mit all dem, was damit verbunden ist - von der Gleichberechtigung bis zur Veredlung der deutschen Sprache -, war das Bekenntnis des Großteils der Juden in Deutschland nicht erst ab dem Ende des 19.Jahrhunderts bis zum Hitlerschen Genozid, sondern - wie Börnes ganze Lebenshaltung aufweist - schon seit der Befreiung aus den Ghettos, seit den Zeiten der sogannten „Emanzipation der Juden“: Es war das Leitmotiv unserer, der Juden Existenz und unseres Schaffens inner- und außerhalb der deutschen Lande. Das ganze Tun und Lassen des Ludwig Börne war bedingt und geleitet durch sein Judesein, an dem auch sein Übertritt zum protestantischen Glauben (1818) nichts hat ändern können. Diese Problematik wird von Willi Jasper wohl geschichtet aufgezeigt, indem er alle Vorzüge und Unarten der Juden auch dem Juden Börne sozusagen „zugute kommen“ läßt, wozu, so möchte ich meinen, seine Rückgriffe auf die Diskurse und Theorien einigerunserer Zeitgenossen, dem Freud, dem Gramsci oder dem Glucksmann nur unnötigen Ballast darstellen.

Ich hätte mir für eine Biographie, deren Sinn und Zweck es nur sein konnte, ein Werk und seinen Autor der Vergessenheit zu entreißen, eine mutigere Schrift als die des Willi Jasper vorstellen können - nicht aber dort eine einsichtigere, wo er klärt, daß die deutsche Literatur in Börne einen Schriftsteller ihr eigen nennen kann, der die Kunst nicht auf einsam eisige Höhen verpflanzte, sondern in die Ebenen des Lebens.

Alphons Silbermann

Willi Jasper: Keinem Vaterland geboren. Ludwig Börne. Eine Biographie. Hoffmann und Campe, 304 Seiten, 46 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen