: Der Verfassungsschutz erobert die alte DDR
Die Landesämter in den fünf neuen Bundesländern werden von Westbeamten aufgebaut/ Gesucht: junge und unbelastete Mitarbeiter/ In Brandenburg soll die Spitzelbehörde in neun Monaten arbeiten/ Vorläufige Beschränkung auf „Auswertung“ ■ Von D. Crawford und W. Gast
Berlin (taz) — Detlef von Schwerin ist einer der wenigen, die im Innenministerium von Brandenburg über ein Telefon mit einer Westleitung verfügen. Und die Durchwahl des Mannes, der im Lande Brandenburg vom Innenminister beauftragt wurde, den Verfassungsschutz aufzubauen, lautet kurioserweise „007“. Aber mit der legendären Romanfigur des britischen Spezialagenten James Bond hat die Arbeit des Beauftragten nichts zu tun. „Erst brauchen wir ein Landesverfassungsschutzgesetz“, erklärt von Schwerin. „Bis dahin können wir Personal einstellen und die interne Organisation entwickeln. Aber wir dürfen noch nicht nach außen wirken.“ Einen arbeitsfähigen Verfassungsschutz soll es etwa in neun Monaten geben. Von Schwerin, vorher bei der SPD in Ost-Berlin beschäftigt, ist Quereinsteiger. Seinen Mangel an geheimdienstlicher Erfahrung gibt er zu, ohne ihn als Schwäche zu begreifen: „Ich bin mit der politischen Seite der Verfassungsschutzfragen beschäftigt. Im Moment gibt es kein funktionierendes Landesamt. Es gibt aber Kollegen aus der Bundesrepublik mit langjähriger Erfahrung, die ich konsultieren kann.“ Sein wichtigster Helfer ist seit dem 23. Januar Ernst Uhrlau (SPD), stellvertretender Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hamburg. Er gilt auch als aussichtsreichster Kandidat für die Stelle des Leiters im Brandenburger Landesamt. Unter seinem Chef Christian Lochte war der Diplompolitologe an der Alster für die Bereiche „politischer Extremismus“ und Terrorismusabwehr zuständig.
Der Aufbau des Verfassungsschutzes auf dem Gebiet der alten DDR wird im Bonner Innenministerium vorangetrieben. Eine Clearingstelle beim Bundesinnenministerium empfahl für Brandenburg beispielsweise eine Personalstärke von 80 hauptamtlichen Mitarbeitern. Als Aufbauhelfer werden freiwillige Überwechsler aus den Altländern gesucht. Im Brandenburg der Ampelkoalition sind besonders die Kollegen aus Berlin und Nordrhein-Westfalen begehrt. Für die gewerkschaftsorientierten VS-Mitarbeiter in Berlin könnte das neue Potsdamer Landesamt tatsächlich zur Zufluchtsstätte werden. Nach der Wahlniederlage des rot-grünen Senats in Berlin fürchten die in der ÖTV organisierten Geheimdienstleute, amtsintern auf der Abschußliste der „Betonfraktion“ zu stehen.
Im Berliner Amt, das wie kein anderes in den letzten Jahren mit seinen Skandalen Schlagzeilen machte, haben sich jetzt die „Traditionalisten“ wieder durchgesetzt. Lothar Jachmann zum Beispiel, der Abteilungsleiter für „politischen Extremismus“, war als Hoffnungsträger des rot-grünen Senates für eine Reform des Landesamtes an die Spree verpflichtet worden. Er hat im November bekanntgegeben, daß er wieder nach Bremen an seine frühere Stelle als stellvertretender „Leiter“ zurückkehren will. Nicht einmal ein Jahr im Amt, stellte er resigniert fest, daß das Berliner Amt nicht zu reformieren ist. Die Mitarbeiter in Brandenburg sollen überwiegend aus dem Land rekrutiert werden. Die Behörde soll nach dem Willen des designierten Leiters Uhrlau vorerst weniger als 50 Mitarbeiter beschäftigen, also weniger als im Bonner Koordinierungsausschuß gedacht. Ein Haushaltsetat ist derzeit noch nicht verabschiedet. Und im Gegensatz zu den Westämtern werden die Haushaltstitel „Beschaffung“ und Spionageabwehr nicht berücksichtigt werden. Im ehemaligen Stasi-Staat dürfen die neuen Mitarbeiter des Amtes vorerst nur Informationen auswerten, die öffentlich zugänglich sind oder vom Kölner Bundesamt geliefert werden. Die neuen Verfassungsschutzämter, so wurde es im Bonner Innenministerium vereinbart, dürfen keinesfalls den Anschein einer Spitzelbehörde à la Staatssicherheit erwecken. Auch Eckart Werthebach, der neue Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, fordert Unterstützung der neuen Behörden durch Bund und Altländer. Das Kölner Bundesamt habe bereits eine Reihe von Mitarbeitern in die neuen Bundesländer entsandt.
Auch im Freistaat Sachsen laufen die Vorbereitungen nach Informationen der Landtagsfraktion Bündnis90/Grüne auf vollen Touren. Das sei zwar durch das bundesdeutsche Recht abgedeckt, kritisiert der innenpolitische Sprecher Michael Arnold. Nach 40 Jahren Stasi gebe es jedoch in der ehemaligen DDR eine „deutliche Abneigung gegen alte und neue Geheimdienste, die keiner richterlichen oder parlamentarischen Kontrolle unterliegen“. Innenminister Rudolf Krause (CDU) hat sich trotz Aufforderung im Innenausschuß des Landtags über den Aufbau eines Verfassungsschutzes bisher nicht geäußert.
In Thüringen wurde werbewirksam verkündet, man werde Beobachtungen und Hinweise von Bürgerkomitees zur weiteren Arbeit von ehemaligen Stasi-Offizieren aufgreifen. Das stellte Innenminister Willibald Böck in Aussicht. Auch hier soll das Amt künftig über 80 Mitarbeiter verfügen. So als wolle er Sauerbier anpreisen, kündigte er an, daß die neue Behörde vorwiegend aus Thüringern bestehen solle. Dies sei die Voraussetzung, um die Empfindlichkeiten der Bürger zu berücksichtigen und die Arbeit in den Komitees der Wende fortzusetzen.
Ehemaligen Volkspolizisten soll der Weg in die neuen Landesämter verbaut bleiben. Zum einen gehörte in der alten DDR ihre Zusammenarbeit mit dem MfS zum Alltag. Zum anderen sollen sie auch deshalb nicht berücksichtigt werden, weil Polizisten generell eine zu starke Fixierung auf die Strafverfolgung nachgesagt wird. Zur Aus- und Bewertung der einlaufenden Meldungen scheinen sie den „Aufbauhelfern“ weniger geeignet. Inoffizielle Quellen, das heißt die Spitzel der Stasi, sollen außen vor bleiben und als potentielle V-Leute nicht in Frage kommen. Konkrete Erfahrungen mit ehemaligen „informellen Mitarbeitern“ machte unter anderem das Berliner Landesamt. Ein VS-Mitarbeiter beteuert: „In den wenigen Fällen, wo wir eine frühere Verbindung zum MfS vermuteten, haben wir sofort jeden Kontakt abgebrochen.“ Ausnahmen wird es aber dort geben, wo die früheren Stasi-Zuträger Informationen über andere Stasi-Mitarbeiter oder interne Strukturen der Staatssicherheit offenlegen können.
Bis es ein funktionierendes Landesamt für Verfassungsschutz gibt, wird in Brandenburg diese Aufgaben vom Bundesamt für Verfassungsschutz wahrgenommen. Nach Paragraph 7 der Koordinierungsrichtlinien für Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutzämtern in der Bundesrepublik muß ein „Benehmen hergestellt“ werden. Das heißt, eine Verbindungsperson des Landes muß vom Kölner Bundesamt über alle Aktivitäten der Bundesbehörde im jeweiligen Land informiert werden. In den ersten drei Wochen seines Dienstes bekam der brandenburgische Verbindungsbeamte von Schwerin allerdings vom Kölner Bundesamt keinerlei Auskünfte.
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