Der VFL Wolfsburg tritt auf der Stelle: Verkrampft versus modern
Nach dem 1:4 gegen Schalke 04 muss der VfL Wolfsburg wieder um den Klassenerhalt zittern – und feststellen: Ein Diego allein reicht nicht.
Wolfsburg taz | Da hatten die vielen Konterangriffe und vier Gegentore einen wohl ziemlich nachdenklich gemacht: „Wir konnten es nicht verhindern“, sagte Diego Benaglio, Torwart und Kapitän des VfL Wolfsburg – und also immer häufiger zuständig für das Analysieren von Misserfolgen. Eine schallende Niederlage gegen den FC Schalke 04 – 1:4 (0:1) vor eigenem Publikum – sorgt dafür, dass die Niedersachsen wieder zu den Hauptdarstellern im Abstiegskampf der ersten Liga zählen.
„Die Distanz ist doch nicht so groß“, sagte der frisch geduschte Benaglio nachher und meinte die sechs Punkte Abstand, die den VfL Wolfsburg nur noch vom FC Augsburg trennen. Und vom Relegationsplatz. Der Torwart und seine Kollegen finden keinen Ausweg aus einem Schlamassel, den es unter der Regie von Neu-Trainer Dieter Hecking eigentlich gar nicht mehr geben sollte.
Bei der Aufarbeitung einer Pleite im eigenen Stadion dürften dem VfL-Tross vor allem jene Momente im Kopf herumspuken, an denen der überragende Akteur dieser Partie beteiligt war: Julian Draxler, 19 Jahre jung und als sogenannter Zehner im offensiven Mittelfeld eingesetzt, legte mit zwei herrlichen Toren in der 33. und 63. Minute sowie einer Vorlage beim vorentscheidenden 3:1 (79.) von Jefferson Farfan den Grundstein für den Schalker Sieg.
Der Schwung und die Leichtfüßigkeit des Nationalspielers entlarvten die Tücken in einer Wolfsburger Defensive, die wieder einmal die Achillesferse des VfL war. Da leistete sich Marcel Schäfer auf der linken Seite einen Fehler nach dem anderen. Und nach der Auswechslung von Naldo nach 30 Minuten – Beschwerden am rechten Oberschenkel – bildeten Simon Kjaer und Sotirios Kyrgiakos eine klotzige Innenverteidigung, die ein graziler und beidfüßig schussstarker Mann wie Draxler umso mehr nach Belieben austricksen konnte.
Deutlicher als am Samstag hätte die Diskrepanz zwischen verkrampftem und modernem Fußball nicht ausfallen können. „Uns hat die letzte Konsequenz gefehlt“, sagte VfL-Trainer Hecking, der nach dem Schlusspunkt, dem 1:4 durch Klaas-Jan Huntelaar (86.), restlos bedient war. „Das war teilweise naiv. Die Art und Weise, wie wir verloren haben, enttäuscht mich“, ergänzte Wolfsburgs Geschäftsführer Klaus Allofs.
Die Einwechslung des seit Monaten nicht mehr berücksichtigten Kyrgiakos war Verletzungsproblemen geschuldet. Aber die Rückkehr eines 33 Jahren alten Reservisten, mit dem eine Verfeinerung des Wolfsburger Spiels wohl kaum gelingen dürfte, dient auch als Sinnbild für die Ratlosigkeit beim VfL. Beide Tore Draxlers waren durch Fehler von Kjaer eingeleitet und einen zu großen Abstand von Kyrgiakos zum Geschehen begünstigt worden.
„Ich denke, ich habe dem einen oder anderen gezeigt, dass ich die Position hinter den Spitzen spielen kann“, sagte Draxler, dem sein erleichterter Trainer Jens Keller in der Euphorie des Sieges sogar eine Weltklasseleistung bescheinigte.
Das Spielsystem des VfL Wolfsburg, das einzig und allein auf die Ideen des Brasilianers Diego ausgerichtet ist, bleibt leicht zu durchschauen. Und es reichte nur zu einem Treffer von Routinier Ivica Olić: Er erzielte nach einer Schalker Unaufmerksamkeit auf der rechten Abwehrseite das zwischenzeitliche 1:1 (50.). Dem Rest an Offensivbemühungen – mit Bas Dost als einziger Wolfsburger Spitze – fehlte es an Gefährlichkeit.
Die besonders kritischen unter den 29.326 Zuschauern wusste sich nicht anders zu helfen, als den oft lauffaulen und deshalb kritisch beäugten Dost auszupfeifen. Dagegen lebten die Schalker Angriffe, immer wieder von Draxler gekonnt eingeleitet, von schnellem Umschaltspiel und großer Virtuosität.
Die Wolfsburger Profis mussten sich so eingestehen, dass ihre Heimniederlage mehr als verdient war. „Wir machen ständig einen Schritt nach vorne und dann wieder zwei zurück“, sagte Olić. Und kreiste mit diesen Worten zielsicher den Grad an Weiterentwicklung ein, welcher dem VfL Wolfsburg seit der Winterpause gelungen ist – oder gerade nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!