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■ Der Umfall der SPD bei den Bahnreform-VerhandlungenAuf der Strecke...

Am Schluß ging es nur noch ums Geld. Nach zähen Verhandlungen konnte Verkehrsminister Wissmann am Freitag abend verkünden: Die Länder haben das Signal auf Grün geschaltet, die Bahn rollt Anfang 1994 aufs Reformgleis. Rund 14,5 Milliarden DM Ausgleichszahlungen will der Bund künftig überweisen. Dafür übernehmen die Länder und Kommunen die Organisation und Finanzierung des Nahverkehrs und stimmen der Umwandlung der Bahn in drei Aktiengesellschaften zu.

Nur auf den ersten Blick erscheint dies als ein Erfolg der Länder, die 14 Milliarden DM verlangt hatten. Denn was, von allen unerwähnt, schließlich auf der Strecke blieb, war die Festschreibung der staatlichen Verantwortung für den Aus- und Neubau des Schienennetzes. Noch vor wenigen Wochen hatten sich die SPD-Länderchefs gegenseitig versichert, daß ihre Zustimmung zu einer Grundgesetzänderung nur unter zwei Bedingungen zu haben sei: Die Kasse muß stimmen, und der Bund zahlt für die Gleise. Ohne Not und obwohl ihre Verhandlungsposition extrem günstig war, sind sie von dieser zweiten entscheidenden Forderung abgerückt.

Die Bundesregierung wäre gezwungen gewesen, auch einen füs sie bitteren Kompromiß einzugehen. Denn die Zeit drängte. Erstens wollte sie das Bahnproblem auf keinen Fall mit ins Superwahljahr 1994 mitschleppen. Vor allem aber wäre eine Verbeamtung vieler Reichsbahnangestellter ab Januar 1994 nicht mehr zu verhindern gewesen. Als unkündbare Staatsdiener hätten sie dann selbst nach einer Umwandlung der Bahnen in privatwirtschaftlich arbeitende Betriebe weiter Finanzminister Waigel auf der Tasche gelegen.

Aber wieder einmal hat die SPD es vorgezogen, treudoof um die Gunst der Regierung zu buhlen, anstatt ihre Macht im Bundesrat für einen effektiven politischen Eingriff zu nutzen. Nicht nur die Landesväter, vor allem auch die sich verkehrspolitisch gerne radikal gebende Bundes-SPD hat an der Vorwegnahme einer Regierung ohne Opposition eifrig mitgestrickt. Als die Regierungschefs von Hessen und Baden- Württemberg als Verhandlungsführer die Verantwortung des Bundes für die Gleise noch als unverzichtbaren Teil eines Kompromisses bezeichneten, forderte der verkehrspolitische Sprecher der SPD- Bundestagsfraktion Daubertshäuser sie auf, von dieser Forderung abzurücken – er habe es so mit der CDU/CSU ausbaldowert.

Sollte ein taktisches Kalkül hinter dieser politischen Geschmeidigkeit der Sozialdemokraten stehen, so wird es nicht aufgehen. Dafür wird die Zustimmung der SPD zur Bahnreform in ihrer jetzigen Gestalt fatale Folgen für viele NutzerInnen der Nahverkehrsmittel haben. Eine „Schienen“-AG, die ausschließlich nach betriebswirtschaftlichen Kriterien arbeitet, wird viele Strecken stillegen. Denn sicher ist es oft günstiger, die Grundstücke teuer zu verkaufen, anstatt darauf ab und zu einen Zug fahren zu lassen. Daß die Reise genau in diese Richtung geht, hat Finanzminister Waigel kürzlich mit einem Kabinettsbeschluß bewiesen: Selbst einige als betriebsnotwendig geltende Grundstücke sollen der Bahn abgenommen werden, noch bevor die drei AGs ihre Arbeit aufgenommen haben. Sie sollen anschließend meistbietend verscherbelt werden, um damit die Reform zu finanzieren.

Aber auch da, wo die Schienen erhalten bleiben, werden viele PendlerInnen und KurzstreckenfahrerInnen abgehängt – und das sind vor allem Frauen und junge Leute in der Ausbildung. Denn die Betreiber defizitärer Bummelzüge können für die günstigsten Fahrzeiten viel weniger Geld bieten als ihre schnellen Konkurrenten. Die Verantwortung für diese ökologisch fatale und sozial ungerechte Verkehrspolitik werden Regierung und SPD gemeinsam tragen. Annette Jensen

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