: Der Tod sitzt im Kinderwagen
Feuerwehrchef fordert neue Bestimmungen für Kinderwagen. Die seien zu leicht entflammbar. Bei Debatte um das Feuer in Moabit stehen Sprachprobleme von Migranten nicht mehr im Mittelpunkt
VON PLUTONIA PLARRE
Erst waren es Sprachprobleme der Migranten, jetzt sind Kinderwagen das Hauptproblem. Die hitzige Debatte um Konsequenzen aus dem Hausbrand in Moabit hat gestern eine neue Wendung bekommen. Feuerwehrchef Alfred Broemme appellierte an die Mitglieder des parlamentarischen Innenausschusses, sich auf EU-Ebene für die Verwendung von schwerer entflammbaren Materialien bei Kinderwagen einzusetzen. Denn in Berlin gab es dieses Jahr schon dreißig Kinderwagenbrände.
In einem am Donnerstag durchgeführten Versuch hat die Feuerwehr ermittelt, dass zwei Sekunden Zündeln mit einem Feuerzeug genügen, um so eine Karre zu entflammen. „In vier Minuten hat man ein Inferno, sogar die Reifen brennen“, so Broemme. Selbst ein Buggy brenne wegen seines Kunststoffs verblüffend lange.
Auch das folgenschwere Feuer in Moabit Anfang letzter Woche war von im Treppenhaus abgestellten Kinderwagen ausgegangen. Die waren fahrlässig oder vorsätzlich angezündet worden. Zwar hatten die Rettungskräfte das Feuer selbst schnell im Griff. Dennoch waren neun Migranten gestorben, die offenbar versucht hatten, durch das Treppenhaus zu flüchten. Der heftige Rauch dort war tödlich für sie.
Unmittelbar nach dem Brand hatte Broemme gesagt, man habe die Bewohner aufgefordert, in ihren Wohnungen zu bleiben. Dies hätten die Migranten aber offenbar nicht verstanden. Umgekehrt hatten Hausbewohner der Feuerwehr vorgeworfen, viel zu spät gehandelt zu haben.
Die Feuerwehr habe auf die Panik in dem Haus „nicht adäquat reagiert“, gab Volker Ratzmann (Grüne) gestern die Vorwürfe der Anwohnern wieder. Warum, fragte Ratzmann, seien die Menschen nicht davon abgehalten worden, in das Treppenhaus zu laufen? Warum seien keine Drehleitern an die Balkone gestellt worden?
Der Einsatz werde „haarklein“ ausgewertet, sagte der Feuerwehrchef. Sein Team sei 5 Minuten nach dem ersten Hilferuf vor Ort gewesen. Nach maximal 20 Minuten sei das Feuer gelöscht gewesen. „Warum bei einem Einsatz, bei dem technisch alles richtig abläuft, neun Menschen ums Leben kommen, ist für uns eine ganz wichtige Frage“, so Broemme. Vor Ort habe es „große Kommunikationsprobleme“ gegeben. Beim Eintreffen der Feuerwehr habe dort große Panik geherrscht. Ein Frau sei bereits aus vom vierten Stock gesprungen. Eine Drehleiter auszufahren oder ein Sprungtuch auszubreiten hätte seiner Meinung nach die Panik noch vergrößert. „Die Leute wären aus mehreren Fenstern gleichzeitig gesprungen“, sagte Broemme. Die neun Opfer, vermutet der Feuerwehrchef, seien bereits vor dem Eintreffen der Rettungskräfte ins Treppenhaus geflüchtet. Der Obduktionsbericht müsse hier Klarheit bringen.
Laut Innensenator Ehrhart Körting (SPD) ist es vorstellbar, dass bei Bränden künftig ein Beamter zusätzlich eingesetzt werde, der sich ausschließlich um die Kommunikation mit den Bedrohten kümmern soll.