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Der Tod kommt kaum vor

■ „Rußlandbilder“: Das Altonaer Museum zeigt Zeichnungen, die deutsche Künstler-Soldaten im Zweiten Weltkrieg anfertigten

Ob Bilder Grauen vermitteln, ist angesichts der täglichen Fernsehbilder aktueller Kriege fraglich. Bilder, so scheint es, haben seit jeder eher die Funktion, Grauen zu bannen. Aus dem Grauen des Zweiten Weltkriegs jedoch gibt es zwar tausendfache Texte über das Erleben von Tätern und Opfern, aber es gibt nur begrenzt bildnerische Dokumente. Erstmalig zeigt jetzt das Altonaer Museum unter dem Titel Rußlandbilder 100 Kriegszeichnungen aus Rußland von fünf norddeutschen Künstlern. Auch an der Front, so der Eindruck, nehmen im Sehen geschulte Soldaten anderes wahr als die Kameraden. Sie sehen offener, als es militärischer Alltag und politische Propaganda fordern. Allen fünf Künstlern war schon an der Front klar, wie sinnlos dieser Krieg war, auch wenn es lebensgefährlich war, dies klar zu äußern. Auf den kleinformatigen Blättern wird das Kriegsgeschehen nur indirekt gezeigt, selbst der Tod kommt kaum vor. Es überwiegen Studien der Menschen und Szenen der Dörfer in scheinbar normalem Alltag und als zerschossene Ruinen. Die niedrigen Horizonte unter dem hohen Himmel der weiten Ebenen auf den Aquarellen von Theo Wilhelm zeigen die von allen Infanteristen schon nach wenigen Tagen geteilte Erfahrung der riesig weiten Landschaftsräume. Der Vorsatz, diese Dimensionen zu erobern, konnte von der unmittelbar sinnlichen Erfahrung als ein völlig irrsinniger Anspruch entlarvt werden, das Bild dagegen kann eine begrenzte Idyllisierung kaum vermeiden. So galt auch das ideologisch entzerrte, realistische Abbild Rußlands nicht als politisch subversiv: Es konnte ganz normal mit Feldpost nach Hause geschickt, ja sogar 1943 in Hamburg und Rendsburg ausgestellt werden. Bis auf Heinrich Christian Meier, der sich als Publizist dem Wort zuwandte, blieben alle fünf Künstlersoldaten nach dem Krieg der bildenden Kunst treu. Theo Wilhelm und Gerhard Fietz hatten aber den Glauben an das realistische Abbild verloren: Nach von ihnen selbst für unangemessen erklärten Versuchen, die Kriegszeichnungen in große Arbeiten zu übertragen, malten sie nur noch abstrakt. Hajo Schiff

Altonaer Museum, Di-So 10-18 Uhr, bis 20. August

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