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Der Tiefpunkt am Telefon

■ Datenschützer kritisiert: 15.000 Schüler sollen über ihre Eltern plaudern, Staatsanwälte archivieren rechtswidrig Abhör-Akten Von Sven-Michael Veit

„Den ganz großen Knaller“, bedauerte Hamburgs Datenschutzbeauftragter Hans-Hermann Schrader, könne er nicht bieten. Im vorigen Jahr, so weist es sein gestern vorgestellter Tätigkeitsbericht für 1995 aus, mußte sein Amt lediglich einmal das scharfe Schwert der „Beanstandung“ zücken: Die Hamburger Handelskammer hatte unberechtigt Prüfungsergebnisse von Auszubildenden weitergegeben.

In diesem Fall half die gelbe Karte; in dem momentan „schwerwiegendsten Fall“, so Schrader, sei aber noch keine Lösung in Sicht: Akten über die Telefonüberwachung von BürgerInnen werden von der Hamburger Staatsanwaltschaft nur ungern vernichtet. Die Nachlässigkeit der Strafverfolger sei, tadelte Schrader, „kaum zu glauben“.

Das Abhören von Telefonen zur Verfolgung schwerer Straftaten sei ein „Eingriff, von dem die Hamburger Staatsanwaltschaft rege Gebrauch macht“. Rund 150 solcher Lauschaktionen wurden 1995 richterlich genehmigt, Tausende von Einzelgesprächen auf Tonbändern festgehalten. Nicht mehr benötigte Akten würden aber keineswegs, wie es das Gesetz vorsieht, „unverzüglich vernichtet“. Im Gegenteil seien sogar protokollierte Gespräche „ungeprüft an andere Stellen übersandt worden“.

Als „Tiefpunkt unserer Arbeit“ bezeichnete Schrader einen Fall aus dem Jahre 1985: Noch jetzt, gut zehn Jahre nach „rechtskräftigem Abschluß des Strafverfahrens“, sind die Akten nicht vernichtet worden. Das sei „überhaupt nicht akzeptabel“, um so mehr, als sogar die Polizei die Staatsanwaltschaft vergeblich aufgefordert hatte, „die gebotene Löschung endlich vorzunehmen“. Mit den archivbesessenen Hamburger Strafverfolgern würden noch eindringliche Gespräche geführt werden, bis sie „den Schutz des Bürgers ernstnehmen“.

Auch bei der Schulbehörde sei noch Überzeugungsarbeit zu leisten. Die plant im Sommer eine Untersuchung bei 15.000 Fünftkläßlern, um deren „sozialen Hintergund“ kennenzulernen. Die 17 Fragen (z.B. „Welchen Schulabschluß haben deine Eltern?“) seien nicht das Problem, sondern die Absicht, die personenbezogenen Datensätze zwei Jahre lang „zur Verlaufskontrolle“ aufzubewahren.

Ein Vorschlag der Datenschützer zur Anonymisierung, um Rückschlüsse auf einzelne Schüler zu verhindern, habe die Behörde als „zu kompliziert“ abgelehnt. Da sei wohl Nachhilfe nötig, so ein Mitarbeiter Schraders sarkastisch: „Ich hatte den Eindruck, daß die unseren Vorschlag einfach nicht verstanden haben“.

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