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■ Der Szene-Schuppen des Sommers: Der Coffeeshop in Köln-BonnBuntes Treiben mit Gebäck

In Bonn sein, heißt Bonsai sein! Das ist bekannt – und zwar nicht erst, seit die Stadt am Rhein eine sterbende ist. Nein, schon von alters her sind die Bonner Gnomengewächse, wenn auch solche, die sich ganz gräuslig selbst beschneiden. Wie sonst sollte man es nennen, wenn Menschen – ob nun Eingeborene, die die Stadt nicht verlassen, oder freiwillig Zugezogene – diesen Ort ertragen. Denn was hat Bonn schon zu bieten, außer einem lustig-rosaroten Rathaus und einem Frauenmuseum, dessen Direktorin Marianne Pitzen heißt – eine Frau mithin, deren Nachname geeignet wäre für Reime. Man könnte mit Schwitzen, Ritzen oder Zitzen spielen, dem deutschen Plural für scheibenförmige, italienische Heißgebäcke oder dem Verb sitzen. Aber mit solchen Witzen widerspräche man jedem Anstand, sowie der journalistischen Grundregel: No jokes about names!

Obwohl Bonn auch totgeschwiegen werden könnte, mußte dies alles gesagt werden, weil jeder Beitrag eine Einleitung braucht, und weil es nicht so leicht ist, die Kölner wegen ihrer Stadt zu hänseln. Warum aber Kölner und Bonner? Weil ziemlich genau in der Mitte zwischen diesen beiden Orten der einzige Coffeeshop zu finden ist, in dem regelmäßig Vertreter der Exekutive verkehren – und zwar nicht als Kontrolleure, sondern als Gäste.

Es geht um das Bistro am Flughafen Köln-Bonn, das der Szene- Schuppen der Sommersaison 98 zu werden verspricht. Und wahrlich: Die Bedingungen sind ideal. Inmitten einer gemütlichen Abflughalle gelegen, reicht – wenn auch über eine Selbstbedienungstheke hinweg – freundliches Personal Fruchtsäfte, Heißgetränke, Bier, Wein oder Champagner. Dazu werden diverse Imbisse serviert, die wirklich zum Reinbeißen sind – Frikadellen, Küchlein oder Baguettes.

Wer glaubt, daß die Gäste dieses Etablissements zumeist Reisende sind, die auf den Abflug in eine schönere Welt warten, der irrt: Immer häufiger besuchen trendige junge Menschen den Coffeeshop alleine zum Vergnügen. Sie schmiegen sich in die kuscheligen Plastikstühle, vermümmeln die angebotenen Köstlichkeiten, schnurren in schnurlose Telefone, gehen zwischendurch in der nahegelegenen Einkaufszeile shoppen oder sehen einfach nur dem bunten Treiben zu, das in keiner Soap der Welt bunter sein könnte.

Beglückend schnulzige Szenen werden den Szene-Bistro-Gästen geboten: Hier ein Kind, das mit einem süßen Lachen auf den Lippen an einem Lufthansa-Lolli erstickt; dort algerische Flüchtlinge, die ein letztes Mal BGS-Beamte umarmen, bevor sie dann via Paris freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren. Dazwischen eine Gruppe von vier Frauen, zwei Kindern und einem Mann, die alle offensichtlich ausgewiesene Mitglieder des Freundeskreises „Lkw zu Nasenfahrrädern und Lupen zu Brillengläsern“ sind. Oder zwei Frauen, die beide den großen Bruder eines Schminkköfferchens neben sich stehen haben, bepackt mit Fettabsauge- und Melkmaschinen. Irgendein entliebter Pfau gurrt der Dame, die in Las Vegas frisch von ihm geschiedenen wurde, ins Ohr: „Geht's dir gut? – Du bist seit dem Abflug – sage ich mal hämisch – so anämisch!“ Ohnehin spielt sich im Köln-Bonner Coffeeshop das ab, was man mit einem Wahlspruch zusammenfassen könnte: „Liebe deinen Nächsten – und wenn nicht, begatte ihn zumindest!“

Ein Tip nur all jenen, die nun den Coffeeshop besuchen wollen: Verhalten Sie sich bitte unauffällig, denn natürlich gilt auch am Flughafen Köln-Bonn Prof. Grizmeks alte Tarnregel: Nur wer sich unbeobachtet fühlt, verhält sich normal. Obwohl Stammgäste des Coffeeshops einander immer schnell erkennen. Es sind wie immer die kleinen verräterischen Unterschiede: Während ein Tourist, der gerade aus Australien zurückkehrt, seine eben noch von einem Kängeruh gekaufte Didscheridu auspackt, bevorzugt der Coffeeshop-Stammgast das klassische Alpenhorn. Aus dem läßt sich besser Haschisch rauchen und dabei noch entrückt auf ein startendes Flugzeug starren.

Ach ja, der Coffeeshop ist im 20-Minuten-Takt mit Flughafen- Shuttles sowohl von Köln als auch von Bonn aus zu erreichen – und das schönste ist, daß die Bonner Busse nie von Bonnern bestiegen werden, denn wie gesagt: In Bonn sein, heißt Bonsai sein – und Pitzen reimt sich eben auch auf sitzen. Und das müssen die Bonner, denn deren Zwergenwurzeln sitzen tief. Flitzen wäre auch schön – zum Beispiel „Marianne Pitzen macht mich flitzen“ – doch rennen können eben nur die Nicht-Bonner.

(Proteste gegen diese Zeilen richten Sie bitte nicht an die Redaktion, sondern direkt an den Bonsai-Club Deutschland e.V., Dannhalmsweg 35. Achtung: nicht in 53XYZ Bonn, sondern in 26441 Jever/Ostfriesland.) Björn Blaschke

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