Wand und Boden: Der Stoff heißt Khanga
■ Kunst in Berlin jetzt: Zeitgenössische britische Fotografie, Colette, Eran Schaerf, Eva Meyer
Einer der britischen Katalogautoren der Ausstellung „On the Bright Side of Life – Zeitgenössische britische Fotografie“ in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst soll gewitzelt haben: „Man dürfte diese Bilder eigentlich gar nicht aus dem Land lassen.“ Er ahnt nicht, was man den Briten alles zutraut. So gräßlich jedenfalls, ätzend, provokativ, gemein oder abstrus erscheint einem das Bild nicht, das die 26 Fotografen in ihren Arbeiten vom Alltag im Vereinigten Königreich mit entwerfen. Im Gegenteil fällt zunächst ganz anderes auf. Keith Arnatts Bilder von der Müllkippe (1989) – etwa ein Teebeutel, der in einer Fülle orangefarbener Plastikfolie liegt, oder eine verkohlte Scheibe Toast und drei grasgrüne Erbsen auf pinkfarbener Verpackung – sind Miniaturen von großer Schönheit. Gerade weil das Schöne bekanntlich zwiespältige Beziehungen zu den Dingen des Geschmacks unterhält. Eklig wird es erst bei Martin Parrs knallbunten, kleinen Formaten. Zehnmal stellt er Nahrungsmittel, die man unschwer als British food identifiziert, ihren potentiellen Essern gegenüber. Parr gehört zu den Begründern der neuen englischen Farbdokumentarfotografie, die Anfang der 80er Jahre für internationales Aufsehen sorgte und deren Trick es war, in Tageslichtszenen zusätzlich hineinzublitzen.
Tatsächlich ist es die seit den frühen 80er Jahren aktive Generation von Fotografen, die hier die britische Fotografie vertritt. Und der merkt man eine erwachsene Souveränität, aber auch Abgeklärtheit im Umgang mit dem Medium an. Sophie Rickett, die ihre ersten, in Berlin schon einmal ausgestellten Arbeiten von 1995 zeigt, ist als 27jährige die jüngste der Fotografen. Ihre großen Schwarzweißabzüge zeigen junge Frauen, die stehend auf der Straße pinkeln. Emanzipation, die zurückkeilt. Den Aspekt des White Trash, den man inzwischen spontan mit britischer Dokumentation assoziiert, bringen dann endlich Anna Fox, Paul Seawright und Nick Waplington auf ganz unterschiedliche Weise aufs Tapet.
Befremdlich die riesigen, zerkratzten, bemalten, besser: beschmierten Tableaus in merkwürdigen Fehlfarben von Victor Sloan. Strikt dokumentarisch zeigt die Serie „God First, Ireland Second“ (1992/97) die Aufmärsche der „Good Protestant Boys“ und erinnert seltsam an Griffith' „Birth of a Nation“. Anders als diese unreine Form sind die Nordirlandbilder von John Duncan und Anthony Haughey strenge fotografische Exerzitien. Dabei ist die dunstverhangene Romantik der verlassenen Westküste Irlands in Haugheys Landschaftsfotografien schon nicht mehr ironisch, sondern nur noch süffisant zu nennen. John Duncan geht im Bildausschnitt etwas näher an die Szenarien heran, die ab vom Weg liegen, und setzt deren ärmliche bis erbärmliche Anmut leichthin ins Bild.
Bis 23.11., tägl. 12–18.30 Uhr, Oranienburger Str. 25, und Kunstamt Kreuzberg, Bethanien, Mariannenplatz 2
Sie war diejenige, die die Fotografie zuerst als Mittel der De- und Rekonstruktion der eigenen Identität und des eigenen Körpers benutzte. Die die fotografische Oberfläche anging, sie bemalte, zerkratzte, überkrustete, zerschnitt. Die Textilien in die Textur der Kunst einführte. Sie war auch diejenige, die Anfang der 70er Jahre anonyme und kunstferne städtische Orte wie Schaufenster, Bars und Nachtklubs erstmals in den Horizont der Kunstwelt hob: Colette.
Im Institut + Kaufladen von Danielle de Picciotto sind nun einige dieser frühen Arbeiten aus den 70er Jahren zu sehen, aber auch Arbeiten aus den 80ern bis hin zu den „Crushed Satin Wall Fragments“ von 1995. Alles in allem: „Colettized Masterpieces“ in Hülle und Fülle. Dabei bleibt die Ausstellung eine kleine, sympathische Werkschau, die den hysterischen Gebrauch von zuviel Glitter und zuviel Selbst, von zuviel Rüschen und zuviel Dekoration nicht verhehlen kann. Vieles wirkt verstaubt. Aber manches Stück würde auch eine große Sammlung nicht nur zieren, sondern verbessern. Wer Nan Goldin schätzt, der sollte Colette nicht missen.
Bis 30.10., Mi.–So. 15–20 Uhr, Münzstraße 23
Wie man die Rüsche hat und doch nicht in ihr untergeht, das weiß niemand besser als Eran Schaerf. Er zeichnet ihr einfaches Schnittmuster, das abstrakt, konstruktiv und architektonisch intelligibel ist. In „Soundtrack“, einer Arbeit von 1994, spannt er diese Rüsche gemeinsam mit anderen runddrehenden Zeichen mit Hilfe eines grauen Bandes vor die Wand. Ihm gegenüber ist in der Galerie Zwinger ein Fries exotischer Farbfotografien gehängt, der sich auf das 26minütige Video „Wie gewohnt. Ein Versatzstück“ bezieht, das Schaerf gemeinsam mit der Philosophin Eva Meyer produzierte. Die Exotik ist Mombasa und Sansibar gedankt. Der Ostküste Afrikas, wo es, wie Schaerf und Meyer sagen, „zwischen Sprache und Architektur einen Stoff gibt, aus dem man im wahrsten Sinne des Wortes eine Gewohnheit macht“. Der Stoff heißt Khanga und weist außerordentlich verständliche Muster wie Dollarscheine und Dollarzeichen auf, aber auch für unsereinen unentzifferbare Sprüche, mit denen man jedoch den Kundigen etwas zu lesen gibt. Der Film geht den Zeichen nach, der Art-deco- Architektur, den maurischen Elementen in modernen Betonrastern, den Sonnen- und Sichtblenden, schmiedeeisernen Gittern und Zierleisten. Eine Voice- over spricht davon, wie Verschleierung eine neue Form der Wahrnehmung hervorbringt. Schleier und Mauern sichern hier Besitz und Religion, aber ihre Sprache ist öffentlich. Schaerf und Meyer haben sich in dieses Gespräch eingemischt.
Bis 15.11., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–16 Uhr, Gipsstraße 3 Brigitte Werneburg
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