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Der Stammtisch regiert im Osten

Nach einer wortgewaltigen Debatte über Ausländerfeindlichkeit in Potsdam blieb nur Hilflosigkeit  ■ Aus Potsdam Irina Grabowski

Ein Podium in typischer Besetzung wollte sich am Dienstag abend in Potsdam dem Thema „Ich und mein ausländischer Mitbürger — Freund, Feind, Konkurrent“ widmen. Neben einem Vertreter aus dem brandenburgischen Innenministerium, einem vietnamesischen Juristen aus Berlin hatte die Ausländerbeauftragte Almuth Berger den Filmregisseur Roland Steiner, Bildungsministerin Marianne Birthler, für das Bündnis 90 im Kabinett Stolpe, und — als „Zünder“ — den Frankfurter Multikulturdezernenten Daniel Cohn-Bendit zum Gespräch geladen.

Sie hielten sich nicht lange bei der vorgegebenen Fragestellung auf. Hoyerswerda wirkte nach und so standen auch in Potsdam jene häßlichen Deutschen im Rampenlicht, die den rechtsradikalen Gewalttätern frenetisch zugejubelt hatten.

Wo denn das „heldenhafte DDR- Volk“ geblieben sei, rührte Marianne Birthler im Schlamm der Herbstrevolution. „Hunderttausende waren damals auf den Straßen und sind noch heute stolz auf sich.“

In der Tat verblassen die Erinnerungen: „Tötet die Kommunistenschweine“ — widerspruchslos trug ein Mann im Dezember '89 dieses Pappschild durch die Menge, während das engagierte Plädoyer eines Bürgerrechtlers für Demokratie und Selbstbestimmung im Volksgemurmel unterging.

Im „überdimensionalen Laufställchen DDR“, so Marianne Birthler, hätten die Menschen gar nicht gelernt, Verantwortung zu übernehmen und Räume auszuschreiten, von politischer und sozialer Kultur ganz zu schweigen. Auch Cohn-Bendit sieht im „totalitären, stalinistischen Regime“ der Vorwende die wichtigste Wurzel für den aktuellen „Horrortrip“. Doch wichtiger als „sozialarbeiterisch Ursachen zu zerpflücken“, sei es jetzt, die Ausländer „emotional zu schützen“. Gegen die „empörenden Vorgänge“ helfe erstmal nur „eine gemeinsame Empörung“.

Roland Steiner, der sich seit Mitte der 80er Jahre mit Skinheads in der DDR beschäftigt hat, setzt auf den Dialog: „Auch wer andere zusammenschlägt, bleibt ein Mensch mit seiner persönlichen Geschichte.“ Gerade haltlose Jugendliche aus dem Kreis blinder Gewalt herauszuholen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen, sei auf längere Sicht die einzige Chance. Steiner findet es zu einfach, die Ausländerfeindlichkeit von heute vor allem mit der abgeklemmten Demokratie der Vergangenheit zu erklären. Er selber mag sich nicht nachträglich einreden lassen, im „Laufställchen“ gefangen gewesen zu sein. Damit könne man sehr gut die Frage nach der Schuld verdrängen. Im übrigen, so Steiner, reiche es nicht, „fasziniert“ auf das Treiben im Osten zu starren: „Gewalt gegen Ausländer ist ein Problem im gesamten Deutschland.“

Die Schwierigkeiten in Westdeutschland, so Daniel Cohn-Bendit, wolle er nicht leugnen. Doch daß sich Schwarze nicht mehr auf die Straße trauen und fast eine ganze Stadt den Rechtsradikalen Beifall klatscht, habe er noch nicht erlebt. Im ost-west-gemischten Publikum regte sich Widerspruch. Unbeirrt setzte Cohn-Bendit mit seinem Rat an die ehemaligen DDR-Bürger fort, nun, nachdem sie sich „freiwillig für den Anschluß an den Geltungsbereich des Grundgesetzes entschieden haben“, auch gewisse Normen des Zusammenlebens zu verinnerlichen. Wie man denn die Leute auf die freiheitlich, demokratische Grundordnung einschwören solle, konterte ein junger Mann, wenn selbst bestimmte Politiker sie nicht ernstnehmen würden. Man solle endlich aufhören, antwortete Cohn-Bendit, darüber zu jammern, daß einem die demokratischen Rechte — einmal aufgeschrieben — nicht sofort hinterhergetragen werden. „In der Demokratie gibt es nichts gratis, da muß man kämpfen.“

Das alles zu begreifen, sei ein langwieriger Lernprozeß. Deshalb sei es wichtig, Zeit zu gewinnen. Cohn-Bendit empfiehlt mehr Staat gegen Gewalt. Die Politiker müßten sich schleunigst an die Brennpunkte der Ausschreitungen begeben. Aber der Rechtsstaat, kam ein Zwischenruf aus dem Saal, habe diese erste Schlacht doch längst verloren. Die Politiker hätten in ihrer Feigheit vor dem Mob das Feld geräumt.

Nachdenklich stimmte, was in Potsdam über die „wunde Volksseele“ berichtet wurde. In Ostdeutschland, so scheint es, regiert der Kneipentisch öffentliche Meinung und öffentliches Tun. Angst ergreift jene, die gegen den Strom schwimmen wollen. Da gerät an Brandenburgs Schulen eine von der Landesregierung unterstützte Aktion gegen Ausländerfeindlichkeit zur „unpopulären Maßnahme“. Die Plakate für die Aktion werden von SchülerInnen anonym geklebt, weil sie die Rache ihrer Mitschüler fürchten. In Schwedt a.O. treffen sich engagierte junge Christen „konspirativ“, weil Skinheads die Stadt tyrannisieren. Ausländerbeauftragte bitten Journalisten, die Adressen ihrer Beratungsstellen geheimzuhalten.

Beunruhigt, teilweise verwirrt verlassen die Menschen die wortgewaltige Veranstaltung. Eine Potsdamerin macht ihrer Hilflosigkeit Luft. Schön sei es, wenn sich Gleichgesinnte Mut machten. Unerreicht blieben gerade jene, die es am meisten betrifft — die Gewalttäter und ihre lauten und leisen Sympathisanten.

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