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Der Sport frißt seine Kinder

■ Der Prozeß gegen den Eislauftrainer Karel Fajfr wegen sexuellen Mißbrauchs und Körpermißhandlung wird zu einer Anklage gegen eine staatlich subventionierte Quälerei von Kindern namens Hochleistungssport Aus St

Der Sport frißt seine Kinder

Sie zelebrieren ihr Können als optischen Genuß: Auf hübsch getrimmte Menschen in enganliegenden Kostümen tanzen, springen, kringeln und vollbringen Dinge, die das Publikum als Hochleistungssport bezeichnet. Auch bestaunt. Eiskunstlauf beispielsweise. Das ist seit jeher mehr als nur Sport. Ein Spektakel, bei dem die oft minderjährigen Held(inn)en auch dann noch zu lächeln haben, wenn es sie auf den Allerwertesten gepfeffert hat. Keep-smiling für die PunktrichterInnen, denn nichts tut LeistungssportlerInnen mehr weh als Mißerfolg und schlechte Noten.

Den Eisheiligen im Lande aber ist das Lächeln eingefroren. Denn die vielen (An-)Klagen wollen einfach nicht verstummen: Sexismus, Sadismus, mißhandelte und von Eltern allein gelassene Kinder, deren Trainer nicht trainiert, sondern wie Zirkusdompteure dressiert haben. Das ist die Schau, die noch bis zum 22. November auf der Landgerichtsbühne zu Stuttgart zelebriert wird.

Seit 5. September steht der ehemalige Eislauftrainer Karel Fajfr wegen sexuellen Mißbrauchs und Körpermißhandlung vor Gericht; seine Ex-Vereinschefs Michael und Brigitte Föll sind wegen Beihilfe angeklagt. Mit jedem Verhandlungstag wird deutlicher, daß hier nicht nur drei Personen abgeurteilt werden sollen, sondern ein Monster, das überall in Deutschland unschuldige Kinder frißt: der Hochleistungssport.

Sport? Was da zum Zweck hoher Leistungen in Stuttgarts Olympiastützpunkthallen zum Trainingsalltag gehört haben soll, hat mit Sport nichts zu tun. Schon eher mit staatlich subventionierter Quälerei von Kindern. Das Bundesinnenministerium (BMI) steckt jährlich 210 Millionen Mark aus dem Steuersäckel in den Hochleistungssport. Davon gehen allein in Baden-Württemberg 9,2 Millionen für Trainergehälter sowie deren Fortbildung drauf. Und weil sich der Sport selbst verwalten, kontrollieren und auch disziplinieren soll, hat es bisher kaum jemanden gekümmert, was da so passiert im Mikrokosmos leibesübender Erfolgsmenschen.

Daß Tennisstar Ivan Lendl als kleiner Bub von seiner Mutter mal an die Netzstange gebunden wurde: nicht schön, aber auch nicht weiter schlimm. Daß Steffi Graf schon als Dreijährige vom Herrn Papa gedrillt wurde und später ihre Kindheit größtenteils auf roter Asche verbracht hat: na ja – von nix kommt nix. Zudem Privatsache. Daß sich im Herbst 94 in den USA die von Gewichtsproblemen gebeutelte Turnerin Christy Henrich mit ihrer Magersucht zu Tode gehungert hat, verursachte in Fachkreisen zwar geringfügige Diskussionen um sinnvolle Ernährung im Spitzensport, sorgte aber ebensowenig für Aufsehen wie der Tod von Adriana Giurca. Die elfjährige Rumänin mußte im November 93 sterben, weil ihr Turntrainer Florin Gheorghe nach einigen verpatzten Übungsteilen ausflippte und das schmächtige Kind gegen einen Schwebebalken gedonnert hatte.

Bundeskunstturnwartin Ursula Koch, oberste Sittenwächterin im Land, hält derartige Züchtigungen im gesamtdeutschen Turnstall für undenkbar. So etwas komme nicht vor, „nicht in unserer Generation“. Was nicht wahr sein darf, kann nur gelogen sein. Und deshalb galt auch die Eiskunstläuferin Nadine Pflaum im September 94 als Lügnerin. Hatte die 17jährige doch tatsächlich ihren Meistertrainer angeschwärzt. Karel Fajfr habe sie wie eine Sklavin behandelt und nach den Leibesübungen auch Liebesübungen an ihr vorgenommen.

Was als fieser kleiner Sexskandal begann, hat sich mittlerweile zum größten Prozeß der deutschen Sportgeschichte ausgewachsen. Nie zuvor haben sich StrafrichterInnen in die inneren Angelegenheiten des Sports eingemischt. Wollten ganz genau wissen, warum zehnjährige Kinder bis zu acht Stunden täglich trainieren müssen. Erst nachts um zehn von der Sportarena nach Hause kommen. Hierbei die Schule schleifen lassen – nur um selber geschliffen zu werden. Hans-Alfred Blumenstein, in seiner Freizeit als Kirchengemeinderat engagiert und im Fajfr- Prozeß ein penibel nachfragender Vorsitzender Richter, platzte schon nach vier von insgesamt zwanzig Verhandlungstagen der Kragen. „Menschenskinder“, herrschte er einen im Zeugenstand bedröppelt dreinblickenden Eislaufvater an, „haben Sie sich denn nie Gedanken um das Wohlergehen Ihrer Tochter gemacht?“ Dessen Antwort: „Gedanken schon. Aber sie hat doch nie was erzählt.“

Später dann, als knapp die Hälfte aller 48 geladenen Zeugen ihre Sicht der Dinge geschildert hatte, war klar, mit welch wirkungsvoller Mixtur man die Mauer des Schweigens gemörtelt hatte: Angst, Ehrgeiz, Abhängigkeit.

Daß Fajfr seine als Rohdiamanten betrachteten Schützlinge nicht mit Samthandschuhen geschliffen, sondern häufig auch mit Fingernägeln, Faust und Fußtritten bearbeitet hat, war in Stuttgart seit Jahren bekannt. Die Verwendung eines Rohrstocks entsprach zwar ebenfalls nicht der gängigen Auffassung moderner Trainingsmethodik – zeigte aber Wirkung. Fajfrs Eislaufküken gackerten nicht herum, muckten nicht auf, galten in der Szene als extrem widerstandsfähig. Und medaillenträchtig. Motto: Wer im richtigen Leben Schläge aushält, steckt auch im sportlichen Wettkampf Rückschläge weg. Daß die ihm anvertrauten Eislaufküken keine goldenen Eier legten und bei Wettkämpfen ständig versagten, war für den in Funktionärskreisen hochgeschätzten Sportausbilder zwar ein gewisses Problem. Doch das glaubte der 52jährige Tscheche mit noch strengeren Auswahlkriterien in den Griff zu bekommen. Wer sich nicht unterordnete, konnte ge

hen – oder sich beschweren. Letzteres hatte nur geringe Erfolgsaussichten.

Peter Krick ist als Sportdirektor der Deutschen Eislauf-Union (DEU) nicht nur mächtigster Strippenzieher der Kunsteisszene, sondern auch Duzfreund Fajfrs. Und wenn der mal wieder an seinem Arbeitsplatz die aufgestaute Wut an kleinen Kindern ausließ, sicherten starke Seilschaften den Kumpel vorm Absturz. Klubvorstand Michael Föll ist DEU- Schatzmeister, er ließ darüber hinaus die Fajfr-Kritiker wissen, auch er habe als ehemaliger Läufer Ohrfeigen kassiert, und die hätten ihm „nicht geschadet“.

Zusammen mit seiner Mutter Brigitte steht der 30jährige Feierabendpolitiker nun als Angeklagter vor Gericht. „Wir wollen hier mal grundsätzlich klären“, so sagte der leitende Oberstaatsanwalt Hans Nusser zu Prozeßbeginn, „wie es um die Aufsichts- und Kontrollpflicht von Funktionären im Hochleistungssport steht.“ Fajfr soll sich für sein vermeintliches Tun verantworten, Stuttgarts Eisheilige fürs Nichtstun. In all den Jahren nix gehört, nix gesehen, nix gesagt. Das Gerichtspublikum bestaunte die Hochleistungssport- Funktionäre. Einer gar applaudierte deren Vorstellung: „Echt zirkusreif.“

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