: Der Sohn der drei Herzen
■ Edson Arantes do Nascimento, genannt Pelé, wird 50 PRESS-SCHLAG
Der Sport bringt es mit sich, daß in den verschiedenen Disziplinen immer mal wieder die Frage auftaucht, wer denn nun der Größte aller Zeiten gewesen sei. Im Boxen ist dieses Problem längst ein für allemal erledigt, dafür drängt es im Fußball umso häufiger an die Oberfläche. Junge Leute, vor allem solche, die selbst professionell Fußball spielen, sprudeln in der Regel ein spontanes „Maradona“ hervor, wenn sie nicht gerade kaisertreu sind, ältere Generationen verweisen mit Vorliebe auf die Herren di Stefano, Meazza oder Zamora. Früher oder später jedoch fällt der Name „Pelé“, und die Diskussion ist beendet. Einsam thront Brasiliens Volksheld, der heute vor fünfzig Jahren in der „Stadt der drei Herzen“ (Tres Cora¿oes) in der ehemaligen Goldprovinz Minas Gerais geboren wurde, über dem gemeinen Fußballvolk.
Edson Arantes do Nascimento betrat die internationale Fußballszene genau zur richtigen Zeit. Während von seinen Vorläufern wie dem Uruguayer Andrade oder dem Brasilianer Leonidas praktisch kein Bildmaterial existiert, waren Ende der fünfziger Jahre die Medien so weit fortgeschritten, daß die Wundertaten des jungen Mannes vom FC Santos in aller Welt bestaunt werden konnte. Gleichzeitig gab es aber noch nicht die heutige Überfütterung mit Fernsehbildern, was der Entstehung von Mythen durchaus förderlich war. Live- Auftritte Pelés mit seinem alle Weltgegenden bereisenden FC Santos waren so sensationell wie Privataudienzen beim Papst, Leckerbissen für jeden aufrechten Fußballfreund.
Hinzu kam, daß Pelé das hatte, was einen Fritz Walter über di Stefano, einen Beckenbauer über Cruyff, einen Maradona über Platini hinaushebt: Weltmeisterschaftserfolg. Kein anderer Sportler hat sich jemals so spektakulär eingeführt wie der 17jährige Pelé bei der WM 1958 in Schweden. Die Welt hielt den Atem an, als sie den dürren Pimpf plötzlich in der besten Fußballmannschaft, die es je gab, an der Seite von Didi, Vava, Zagalo, Djalmar und Nilton Santos sowie des genialen Dribblers Garrincha stürmen sah. Sogleich war Pelé die Seele dieses Teams, das souverän den Titel holte, Torschütze und Einfädler zugleich. Unglaublich seine Übersicht, phänomenal sein Ballgefühl, phantastisch seine Kreativität und Spontaneität, von mathematischer Präzision das Timing seiner Pässe und Schüsse, voll zauberhafter Hinterlist seine Körpertäuschungen. Wenn er die damals noch sehr unscheinbare Lederkugel mit der Brust stoppte, schien sie plötzlich von innen heraus zu glänzen, und es lachten sogar die Engel in der Hölle.
In 93 Länderspielen sorgte er fortan dafür, daß Mitspieler und Ball gleichermaßen über sich hinauswuchsen. 1.363 Spiele bestritt er insgesamt, anläßlich des tausendsten seiner 1.281 Tore wurden Briefmarken gedruckt, Denkmäler enthüllt und in ganz Brasilien läuteten die Glocken. Zu seinem zweiten WM-Triumph 1962 in Chile konnte Pelé allerdings nur wenig beisteuern, da er sich im zweiten Spiel verletzte. 1966 in England wurde er von wildgewordenen Portugiesen so unbarmherzig gejagt wie 1982 Maradona von den Italienern, schließlich erwischt und schwer verletzt. Der große Favorit Brasilien schied nach diesem herben Schlag bereits in der Vorrunde aus. 1970 schloß sich dann der Kreis: Ein gereifter Pelé führte in Mexiko noch einmal die ganze Palette seines Könnens vor und wurde zum spiritus rector des dritten und bislang letzten WM-Gewinns Brasiliens, wofür er sich vom Militärdiktator Medici küssen lassen mußte. Nach einem millioneschweren dreijährigen Gastspiel bei Cosmos New York beendete Edson Arantes Nascimento im Oktober 1977 endgültig seine Karriere und liebäugelt seither gelegentlich mit der brasilianischen Präsidentschaft.
Wie so viele große Fußballer ist im übrigen auch Pelé der Meinung, ein direkter Nachfahre Gottes zu sein. Während Maradona wenigstens nur einzelne Gliedmaßen göttlicher Abkunft bezichtigt, liefert sich der Brasilianer gleich mit Haut und Haaren aus. „Pelé ist von Gott“, behauptet er über sich. Es sei ihm verziehen. Wieso sollen nur Torhüter und Linksaußen ihre Macke haben? Warum nicht auch Fußballgötter? Matti
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