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Der Selbstzensor

Als Politiker würde der russische Schriftsteller Edward Limonow seine eigenen Bücher verbieten  ■ Von Davrell Tien

Große Schriftsteller, heißt es, sprechen von dem, wofür es sich zu leben und zu sterben lohnt. Wollte man dem russischen Romancier Edward Limonow Glauben schenken, lautet die Antwort: Ruhm und Vaterland.

Das war nicht immer so. In seinem autobiographischen Roman Fuck off, Amerika, durch den er berühmt wurde, spielten Liebe und Sex eine wesentlich größere Rolle als Politik. Die Geschichte von Eddy, einem sowjetischen Dichter- Emigranten, der durch New York streift, ist spannend zu lesen; heute jedoch schreibt Limonow in der Regel nur Aufsätze, in denen er Rußland zu den Waffen ruft. Er ist nicht der einzige begabte Schriftsteller des Landes, der sich in extremem Nationalismus ergeht – er ist nur der vor allem für jüngere Leser interessanteste.

Limonow wurde unter Breschnew als Untergrunddichter aus der Sowjetunion hinausgeworfen. In den USA lernte er schnell, daß es für russische Lyrik keinen Markt gab, und wandte sich dem Roman zu. In Fuck off, Amerika ist seine Frau Lena ein naives russisches Mädchen, das ihm von ebenso naiven Amerikanern ausgespannt wird. Der Protagonist Eddy überlebt mit Stütze und Sauerkohlsuppe und beschreibt rachsüchtig sowohl Amerika als auch sein eigenes Seelenleben. Er läßt sich im Verlauf der Geschichte mit allen möglichen Leuten ein, von kriminellen Schwarzen bis zu schizophrenen Altstudenten. Eddy wird so eine Art russischer Henry Miller, der philosophierend durch die Straßen wandert, immer auf der Suche nach Essen und Sex.

US-amerikanische Verlage lehnten Fuck off, Amerika ab. In dem Buch wird nicht nur die amerikanische Gesellschaft mit großer Feindseligkeit betrachtet, es enthält auch lange Passagen expliziter Beschreibungen von schwulem Sex. Den ersten Verlag, der ihn publizierte, fand Limonow in Frankreich; dort wurde das Buch sofort zu einem kommerziellen und literarischen Erfolg.

Ende der achtziger Jahre entschied sich der kleine russische Verlag Glagol zur Herausgabe in Rußland. Trotz Glasnost weigerten sich die Drucker, das Buch anzufassen. 1990 fand Alexander Schatalow, Glagol-Gründer, eine Druckerei in Riga. Schatalow erzählt grinsend, wie damals OMON, die unter Gorbatschow entstandene Sondereinheit der Polizei, das Gebäude während des Drucks bewachte. Seitdem hat Glagol über zwei Millionen Exemplare verkauft. Der Roman machte aus seinem Autor den Helden, den das Land damals so dringend brauchte.

Das neueste Buch von Limonow, Das Verschwinden der Barbaren, ist eine Sammlung von Zeitungsaufsätzen zur Verteidigung des russisch dominierten Sowjetreiches. Den Umschlag ziert ein Foto des Schriftstellers in sowjetischer Militäruniform; auf dem Buchrücken erscheint eine Fahne, die wie die der Nazis aussieht, nur daß im weißen Feld statt des Hakenkreuzes Hammer und Sichel auftauchen. „Im eigenen Bett zu sterben ist die größte Schande“, belehrt er uns. „Sterben muß man in der Schlacht, in einem Aufstand. Das Volk soll fürs Begräbnis sorgen“, so Limonow, der sich rühmt, in Jugoslawien und Trans-Dnjestrien auf Muslime geschossen zu haben. Kurzum, er ist ein Schriftsteller der Tat.

Schatalow bewundert Limonow, sieht ihn aber auch kritisch. „Nicht alle seine Argumente sind besonders neu“, meint der Verleger, der seinen Star-Autor mit Orwell vergleicht, „aber sie wirken.“ Limonow schreibe eben nicht für die Intellektuellen, sondern für Fabrikarbeiter und Pflichtsoldaten.

Für Limonow sind Rußland und die Sowjetunion ein und dasselbe. Er rät seinen russischen Landsleuten, Schluß zu machen mit Schuldgefühlen für die Verbrechen der Sowjetunion, da „die Geschichte jedes Staates eine Geschichte von Verbrechen ist“. Ziel und Zweck solcher Sätze ist offensichtlich, dem russischen Durchschnittsbürger, der über die Dekadenz und Korruption Moskaus empört ist, ein intellektuelles Selbstwertgefühl zu vermitteln. Mit seiner Forderung nach Gorbatschows Guillotinierung plaziert er sich im Mittelfeld zwischen Kommunisten und Slawophilen.

Mit großer Verve tritt er gegen die Nationalismen aller Nichtrussen in der Sowjetunion auf. Seiner Meinung nach hätte Gorbatschow nur die bürgerlichen Intellektuellen der Republiken mundtot machen müssen, und die Sowjetunion hätte gerettet werden können. „Warum“, fragt er, „sollte Rußland den nationalen Minderheiten das Recht auf Selbstbestimmung einräumen? Frankreich erlaubt auch den Bretonen keine Unabhängigkeit.“

Auch sexuelle Selbstbestimmung ist mit Limonows politischen Ideen nicht mehr zu vereinbaren. Das allerdings hat ihn in eine etwas heikle Situation gebracht. Die Bisexualität seines Helden Eddy bringt seinen Autor heute in Verlegenheit, und er spielt sie möglichst herunter. Bei öffentlichen Auftritten wird Limonow ständig nach seiner eigenen sexuellen Orientierung gefragt; seine Routineantwort ist dann der Hinweis auf seine Ehe mit Natascha Medwedewa – Beweis seiner Heterosexualität. Der schwule Sex in seinem Buch sei lediglich eine Form des Protests gewesen, behauptet er.

Limonows Weigerung, sich für die Rechte der Schwulen einzusetzen, ist für die Schwulen Rußlands eine große Enttäuschung. Alexander Schatalow und Jaroslaw Mogutin, Limonows inoffizieller Biograph, sind schwul und leben ganz offen zusammen. Seinen Nationalismus unterstützen sie, hinterfragen jedoch seine Politik in Sachen Sexualität. „Als ich ihn auf die Rechte der Schwulen ansprach, sagte er, daß Rußland dieses Stadium noch nicht erreicht habe“, erzählt Schatalow. Homosexuelle Praktiken werden immer noch als Verbrechen geahndet. „Man kann ihn verstehen“, sagt Mogutin. „Er ist Politiker und will sich nicht gerne festlegen. Politik ist (für ihn) wichtiger geworden als Schreiben.“

Limonow macht aus seinem politischen Ehrgeiz keinen Hehl. Im Schattenkabinett von Wladimir Sirinowski, einem prominenten und leicht operettenhaften Faschisten, hat er den Posten des Sicherheitschefs. Wenn er an die Macht käme, so hat er öffentlich versprochen, würde der Politiker Limonow die Bücher des Schriftstellers Limonow verbieten – eine Drohung, die schon heute nicht nur den Büchern, sondern vor allem ihren Verlegern schaden könnte.

Ich fragte Limonow, ob ihn nicht vielleicht dasselbe Schicksal erwarte wie die homosexuellen Männer in der SA, die kurz nach der Machtergreifung der Nazis aus der Partei herausgesäubert worden waren. Das fand er eine lächerliche Vorstellung. Leichthin antwortete er: „Ich glaube, Sirinowski ist selber Jude.“ Mogutin und Schatalow jedoch glauben, daß Limonow ein dramatischeres Ende wählen würde, etwa nach dem Vorbild des japanischen Schriftstellers Yukio Mishima.

Trotz aller Liebe zur russischen Heimat ist Limonow französischer Staatsbürger geblieben. Als Gorbatschow seine russische Staatsbürgerschaft wiederherstellen wollte, lehnte Limonow ab. „Er ist nicht wirklich mehr einer von uns. Er ist ein Tourist aus Paris“, sagt Schatalow. Auch das ist eine Facette der merkwürdigen Welt russischer Politik heute.

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