Der Schwächste als Opfer

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(Roger Bornemann - Tod eines Skinheads, Di, 23 Uhr, ARD) Am Anfang ein Bild des zugerichteten Körper des Siebzehnjährigen, am Ende des Films ein Foto des kleinen schwächtigen Skinheads Roger Bornemann und zwischen diesen beiden Passagen eine Stunde lang Aussagen der Familie, der Mitschüler, von Pädagogen, von Neonazi-Kameraden, die das langsame Abrutschen in die Neonazi-Szene nachzeichnen und aus ihrer Sicht erklären, wie es am im Februar 1987 zu dem grausamen Kameradenmord im hannoverschen Stadtwald kommen konnte.

Im ersten Teil ergaben die Aussagen das Bild eines pädagogisch verwalteten Jugendlichen: Roger Bornemann suchte, wie die MitschülerInnen betonten, Freunde und Anerkennung. In den Augen der Pädagogen war er einer der verhaltensauffälligen Schüler, denen man hilflos oder desinteressiert gegenübersteht. Auch der Vater des Jungen berichtete vor der Kamera in einer distanzierten mit pädagogischen und soziologischen Vokabeln gespickten Sprache darüber, wie sein Sohn langsam seinem Einfluß entglitt. Es mag sein, daß die Kamera ihm hier Unrecht tat. Zu oft hat der Vater des Ermordeten wohl das Schicksal seines Sohnes vor Journalisten zu Protokoll geben müssen.

Nur das letzten Drittel des Dokumentarfilms befaßte sich mehr mit der jugendlichen Neonazi-Szene in Hannover, der sich Roger Bornemann schließlich auf der Suche nach Freunden und Anerkennung anschloß. Der Film dokumentierte in authentischen Zitaten die Gewalttätigkeit, den Haß dieser Jugendlichen, die Anschläge gegen Ausländer und Rote und verzichtet auf abschließende Erklärungen. Am Ende konfrontierte die Regisseurin, Dorothea Morgenthaler, das unpolitische Urteil des Landgerichts Hannover im Mordfall Bornemann mit Aussagen von Neonazi-Kameraden und denen des Vaters: Zu Tode geprügelt wurde das halbe Kind, so belegt die Filmemacherin, weil er bei der Polizei zuvor umfassend ausgesagt hatte, als Strafe für seinen „Verrat“.

Ein Faktum bleibt zu dem gelungenen Dokumentarfilm nur nachzutragen. „Verrat“ hatte in der Wehrsportgruppe „Eisernes Kreuz“, der Roger Borneman zuletzt angehörte, nicht nur der Ermordete begangen: Der weitaus ältere Kameradschaftführer des „Eisernen Kreuzes“ hatte seit langen zweimal wöchentlich Kontakt mit der Kripo. Der für die Organisation des Wehrsports zuständige Jugendliche arbeitete für den Verfassungsschutz, und auch die meisten übrigen Mitglieder der militanten Gruppe hatten vor dem Mord bereits bei der Polizei ausgesagt. Offenbar war aber Roger Bornemann der einzige, der „Kameraden“ über seine Aussage bei der Polizei berichtet hatte. In dieser Situation, wo sich in der gewalttätigen Gruppe die Kameradschaft in allgemeinen „Verrat“ auflöste, wurde der kleinste und schwächste das Opfer.

Jürgen Voges