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Der Schrecken, hübsch verpackt

In Brandenburg hat die Deutsche Volksunion den Sprung in den Landtag geschafft – dank einer neuen Strategie: Gesicht zeigen, moderate Tonlage, Opferrolle. Doch die Parolen sind die alten geblieben. Und die Landespolitiker reagieren mit gewohnter Betroffenheit  ■   Aus Potsdam Jens Rübsam

„Eine gute Steilvorlage.“ – Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen, CDU, über die Landtagswahlen in Brandenburg und die in Berlin am 10. Oktober

Rebellion auf dem Potsdamer Brauhausberg – eine Schar Autonomer, ein paar PDSler, einer mit Punkfrisur reißt die Tür zum Landtag auf: „Nazis raus!“

Während draußen Parolen krachen, ruft drinnen Brandenburgs DVU-Landeschef Axel Hesselbarth nach dem Innenminister: „Wo ist Alwin Ziel? Der hat doch immer die große Fresse.“ Nun stehen sie da, umringt von Bodyguards, blicken verstört zur Tür und klagen über unterlassene Hilfeleistung. Gerade wurden sie von 58.225 Brandenburgern (5,28 Prozent) demokratisch in den Landtag gewählt – und schon kommen sie nicht mehr heraus. „Schreiben Sie schön auf“, fordert Herr Hesselbarth, „dass wir gegen solche Zustände kämpfen werden.“ Erst per eilig herbeigerufener Polizei gelangt die DVU am späten Sonntagabend ins Freie. Dort ist auf dem Schild „Landtag Brandenburg“ nun ein neuer Hinweis zu lesen: „DVU angreifen“.

Ein weißer Kleinbus rackert sich gegen halb sieben den Potsdamer Brauhausberg hinauf. Im Laderaum sitzen gut gelaunte Bürger: die Hesselbarths, er kantiger Landeschef, sie ein zartes Persönchen, die Kandidaten Herr Claus und Herr Schlundt und ein paar DVUler aus der Münchner Zentrale. Sie wissen längst, was alle befürchteten: Sie sind drin im Parlament, mit fünf Abgeordneten. „Hoch zufrieden“, „Dankeschön an alle Wählerinnen und Wähler“, „Abrechnung mit Stolpe“, „der Regierung ordentlich auf die Finger klopfen“ – gern werden die Journalisten mit den wichtigsten Informationen versorgt. Wo aber ist Gerhard Frey? „Der macht Wahlkampf in Thüringen“, gibt Pressesprecher Dröse bekannt. Auch im Freistaat will die DVU am kommenden Wochenende punkten.

In Brandenburg gelang ihr das mit einer neuen Strategie: Gesichter zeigen, sich moderat geben, sich als Opfer stilisieren. Da wird Liane Hesselbarth, die zweite auf der Landesliste, hübsch verpackt in dunkelgrünem Kostüm den Fernsehzuschauern präsentiert. Eine Frau, die am Supermarkt an der Kasse sitzen könnte, die so leidend dreinschaut, als sei die ganze Welt böse, als hätten alle etwas gegen sie persönlich. Keine der üblichen Parolen kommen ihr über die Lippen, kein latenter Antisemitismus, kein Ausländerhass. Sie spricht sich sogar „gegen ausländerfeindliche Gewalt“ aus und zeigt sich tief betroffen über die Lage auf dem Bau. „Wie Sie wissen, gibt es 50.000 Schwarzarbeiter auf Brandenburger Baustellen und 50.000 arbeitslose deutsche Bauarbeiter.“ „Ja“, sagt sie nun, und plötzlich entflieht ihr doch ein Hauch Trotzigkeit, „ja, unser Slogan 'Deutsche Arbeit zuerst für Deutsche‘ ist richtig.“ Dann posiert sie nett vor der Brandenburger Landesfahne. Ihr Mann hält die Handtasche.

Gleich nebenan zeigt sich die Politik bestürzt. Landesvater Stolpe wertet den Einzug der DVU ins Parlament als „erschreckend“. Sozialministerin Hildebrandt „packt die blanke Verzweiflung“. PDS-Chef Bisky stellt fest: „Ausländerfeindlichkeit und deutscher Nationalismus sind in diesem Lande wieder wählbar geworden.“ Es scheint, als wären die märkischen Politgrößen nie gewarnt worden. 2,7 Prozent erreichte die DVU im vergangenen Herbst bei der Bundestagswahl – ohne einen aufwendigen Wahlkampf zu fahren, ohne hunderttausendfach Wahlbriefe zu verschicken, ohne Dörfer mit Plakaten zuzupflastern, ohne in Jugendklubs Bierdosen (Aufschrift: DVU) zu verteilen. Worüber sich Experten seit Jahren einig sind, dass der Rassismus in der Mitte der ostdeutschen Gesellschaft fest verankert ist, darüber wundern sich auf einmal die Parteigrößen.

„Das ist ein Steilpass für die thüringische Landtagswahl am nächsten Sonntag.“ – DVU-Parteisprecher Bernd Dröse über das gute Abschneiden seiner Partei

André Brie, der Vorzeigeintellektuelle der PDS, konstatiert noch am Wahlabend: Alle drei bisher im Potsdamer Landtag vertretenen Parteien hätten sich „als unfähig erwiesen, gegen die Ausländerfeindlichkeit in Brandenburg vorzugehen“, einschließlich PDS. Der Berliner Parteienforscher Richard Stöss spricht von einer „braunen Karte“ für die SPD.

Hartnäckig kämpft sich der DVU-Tross weiter übers Landtagsgelände, stets begleitet von Parolen wie „Nazis raus“ und „geistige Brandstifter“. Spitzenkandidat Herr Claus gibt währenddessen seine Losungen bekannt: „Kriminelle Ausländer raus“ werde er im Parlament fordern und einen Untersuchungsausschuss „Wahlterror“. Und Herr Schlundt will den Antrag stellen: Politikerdiäten kürzen! Rebellion auf dem Potsdamer Brauhausberg – künftig auch von den rechten Plätzen.

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