Der Schleifer von Union

Er hat das Image des harten Hundes: Werner Voigt, genannt Pico, der neue Trainer des Drittligisten FC Union Berlin. Gebracht hat es aber noch nichts

VON JÜRGEN SCHULZ

Werner Voigts blaue Augen scheinen Blitze auszusenden. Der Blick des Union-Trainers wirkt wie eine Kernspintomografie, bei der seine Mannschaft auf Schwachstellen durchleuchtet wird. Wenn „Pico“ seine Kommandos über den Platz brüllt, ducken sich die Spieler aus Angst vor der Schallwelle. „Voigt spricht die Sprache der Spieler“, lobt Vereinspräsident Dirk Zingler den neuen Coach. Doch meistens halten die Spieler lieber den Mund, was nicht nur an der Niederlagenserie in der Regionalliga liegt, die Voigts Vorgänger Frank Wormuth vor Wochenfrist den Job kostete. Wenn ein Profi etwas zu sagen hat, artet es in Trainer-Lob aus. „In unserer Situation ist ein harter Hund wie Voigt, der uns in den Arsch tritt, genau der Richtige“, heißt es dann.

Harter Hund legt den inneren Schweinhund der Spieler an die Kette – das erwarten die Fans vom neuen, 57-jährigen Übungsleiter. Beim Training grinsen sie den kurzbehosten Kellerkindern schadenfroh ins Gesicht, als wollten sie sagen: Das habt ihr nun davon, dass ihr so schlecht seid. Ein Trainer als Strafe?

„Harter Hund – ach, das sind so Sprüche“, sagt ein genervter Voigt. Er weiß, dass ihm ein Ruf vorauseilt, als wäre Bayern- Schleifer Felix „Quälix“ Magath im Vergleich ein sensibler Rosenzüchter. „Disziplin und Ordnung müssen stimmen“, lautet Picos Prämisse. Von privaten Problemen der Spieler will er nichts hören – „die haben auf dem Platz nichts zu suchen“.

Während Wormuth über Viererkette oder Mittelfeld-Raute dozierte, nennt der Nachfolger seine Stürmer „Zähnefletscher“. Voigts erste Reform zur sportlichen Erholung Unions lautet: „Ich verlange von den Spielern, dass sie im Training Schienbeinschützer tragen.“ Nicht nur wegen der Verletzungsgefahr bei Zweikämpfen, wie Trainingsgäste feixen, sondern damit sich die Spieler die Knochen nicht aufschlagen, wenn sie der neue Trainer die steilen Stadiontraversen in Köpenick rauf und runter jagt. „Das ist gut für die Antrittschnelligkeit“, erklärt Voigt.

Hinter vorgehaltener Hand erzählen Unioner die tollsten Schleifergeschichten von Pico. Zwanzig Vierhundertmeter- Sprints pro Training seien obligatorisch. Spieler, die frei vor des Gegners Tor versagten, müssten so lange auf der Torlinie hin und her rennen, bis sie ihren Arbeitsplatz aus dem Effeff kennen.

Früher sei härter trainiert worden, entgegnet Voigt. Früher bedeutet in den 70er-Jahren, als Pico beim BFC Dynamo in die Fußballschule ging. Als Aktiver war er allenfalls Mittelmaß, als Nachwuchstrainer hatte der gebürtige Wildauer Erfolg. Sein Lehrmeister war BFC-Idol Herbert Schoen, ein eisenharter Verteidiger, der seine Kickschuhe wegen eines Knieschadens ausziehen musste. Die Härte blieb.

„Bei Schoen mussten sich die Spieler mit Schneebällen bewerfen, sie durften die aber nicht mit der Hand abwehren, sondern mussten ausweichen. Das erhöhte das Reaktionsvermögen“, erinnert sich Voigt mit Vergnügen. Taktikschulung erteilte Schoen mit leeren Bierflaschen. Damals schonten sich die Aktiven im Meisterschaftsspiel, um genug Kraft zu haben für das anstrengende Training.

Von 1986 bis 1990 betreute Voigt Hansa Rostock und hievte die Nordlichter in die DDR-Oberliga, das FDGB-Pokalfinale 1987 (1:4 gegen Lok Leipzig) sowie den Uefa-Cup (1989 gegen Banik Ostrava). Nach der Fußball-Einheit ersetzte ihn an der Ostseeküste der Wessi Uwe Reinders, der 1991 mit Hansa das letzte DDR-Double, Gewinn der Meisterschaft und des Pokals, errang. „Reinders hat die Früchte meiner Arbeit geerntet“, betont Voigt.

Knorrige Feldwebel-Typen wie er kommen wieder in Mode. Voigt ähnelt in seiner konsequenten Art dem Cottbuser Original Eduard Geyer oder Her- thas letztjährigem Retter Hans Mayer. Falls Pico mit Union den Klassenerhalt nicht schaffen sollte, so könnten seine Spieler wenigstens am Berlin-Marathon teilnehmen.