: Der Schein trügt
■ Peter Zadek inszeniert Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ am Wiener Burgtheater
Elisabeth Loibl
Hinten, in der Tiefe des leeren Bühnenraumes, schließt eine Glas-Stahl-Fassade den Spielort gegen den Venediger Horizont ab, im Stil jener postmodernen Repräsentationsarchitektur, in der sich der akkumulierte Reichtum spiegelt. Die Menschen, die sich da hinten an dem Portal aus Messingplatten und wuchtigen Metallrahmen aufhalten, erscheinen als Silhouetten, verschwindende Figuren. Vor und hinter ihnen öffnen und schließen sich die riesigen Metallplatten einer Lifttür, geben für ein paar Sekunden den Blick frei in den grell-weißen Liftschacht. Auf den Türen prunken Löwen-Reliefs: stolze Insignien der venezianischen Handelsmacht, aber auch Emblem des Generali-Konzerns, der heute die Geschäfte des Vatikans betreibt.
In diesem Raum (geschaffen von Wilfried Minks) - das ist deutlich - herrschen Geld, Handel, Spekulation. Dort ist die Niederlassung der weltweiten Unternehmen von Antonio, Kaufmann, dessen Gewinne aus der christlichen Seefahrt enorm sind, aber mit hohem Risiko verbunden. Dort hat der verschuldete Adlige Bassanio sein Büro, der dringend Geld benötigt, um es in die Konsolidierung seiner Verhältnisse zu investieren: Er will eine reiche und schöne Frau freien. Freund Antonio gibt ihm Kredit, und - selber mittellos unterzeichnet dem Shylock einen makabren Wechsel. Dort zirkulieren all die saloppen, halbseidenen Anzug-Typen, die an der Zirkulation des Geldes ihr Interesse haben - eine handelsbündige Clique reicher Freunde. Dorthin kommt Shylock, um seinen jüdischen Wucher, Bankgeschäfte heißt das heute, abzuwickeln. Man findet sich also auf einer anglo -amerikanischen Frankfurter Piste, mit Ausblick auf den Rialto im gleißenden Gegenlicht des Lichtschachts weit hinten. Und zugleich auf den Straßen und Plätzen von Venedig, wo ständig irgendetwas verhandelt wird: Kredite, Börsenkurse, Freundschaftsdienste, Jobs, eine Entführung.
Dann gibt es noch einen anderen Schauplatz, ein Idyll irgendwo in Italien: Belmont, das Gut der reichen Dame Porcia. Sie ist eine Art unblutige, kluge und freisinnige Turandot-Figur, belagert von Freiern, die alle zur Gewissensprüfung mit dem Rätsel um das richtige unter den drei Kästchen konfrontiert werden. Nur wer richtig wählt, gewinnt. Dieses märchenhafte Belmont hat Johannes Grützke mit seinen gemalten Bühnenprospekten gestaltet, mit Bildern, die das Traumhafte und Symbolträchtige dieses Ortes sichtbar machen. Eingangs erzählt ein solcher Prospekt - auf dem ein großflächiger Raumausschnitt in Grün und Rot und Gelb leuchtet, ein Zimmer, dominiert von einer monumentalen Männerbüste - von der Autorität des (toten) Vaters. Er wacht auch als omnipotentes Auge in der kitschig -symbolbefrachteten Bildtafel über die Kästchen. Porcia und ihre Gäste bewegen sich vor der Perspektive einer idyllischen Tempelfront mit Pinien und Meeresblick, und in einer unter Pinselstrichen wuchernden Blumenlandschaft.
Zwischen diesen zwei Welten des Reichtums - der funktionalistischen Architektur des Geschäfts und der exotischen Kulisse für Liebesgeschichten - pendelt der Kavalier Bassanio und mit ihm die halbe Clique von Venedig. Nur einer erfährt seine Grenzen, das heißt seinen Ausschluß: der Jude Shylock. Wie es dazu kommt in einer scheinbar liberalen, demokratischen Gesellschaft, das entwickelt Regisseur Peter Zadek in leisem, eindringlichen Eingehen auf die lauten Widersprüche seiner Figuren.
Niemals noch ist Shakespeares skandalöse, ideologieverdächtige Geschichte vom Juden Shylock und dem Pfund Fleisch, das der seinem Kontrahenten Antonio aus den Rippen zu schneiden trachtet, diffiziler erzählt worden. Zadek hat etwas unglaublich Befreiendes gewagt: er nimmt die (Interpretations-)Last der Eindeutigkeit von den Charakteren - zum Vor-Schein kommen zerrissene, entwurzelte Menschen, die entfremdet agieren.
Zadek treibt mit seinen Schauspielern ein höchst subtiles Spiel, um diese Aufhebung der Schwerkraft zu erreichen. Wer ist wer, und wie und was ist der nun? In der Irritation lösen sich die Konturen auf; was sichtbar wird, sind Oberflächen, und wer sich daran festhält, den trügt der Schein. Wiegestalt also ist Shylock, der Jude, und wie stellt sich der Christ Antonio dar? Verwechselbar. Zadek wechselt die Klischeebilder aus. Shylock tritt auf in der ironischen Haltung eines perfekten Weltmannes, Antonio als ungeschickter, defensiver Melancholiker entspricht viel eher dem bekannten Zerrbild des Juden. Der Schein trügt. Jessica, Shylocks Tochter, die mit einem jungen Kerl aus der Clique Bassanios ihrem Vater davonläuft - und so Haß und Rachsucht sät -, eine verwöhnte Schickse? Ihr Lorenzo ein Yuppie? Die beiden auf der Flucht in die große Freiheit? Der Schein trügt. Vor allem aber ist Shylock betrogen. Er erwartet, daß seine Rache Recht findet vor dem Gesetz. Er kommt zu seinem Recht, aber zum Recht in seiner ganz fatalen Tragweite. Das Gericht stoppt seinen Amoklauf und erklärt ihn, den Fremden, zum versuchten Mörder an einem Venezianer. Es zieht seinen Besitz ein - das ist Sonderrecht, Privilegienstatut. Das Gericht läßt das Beinahe-Opfer Gnade sprechen: Shylock wird zwangsmäßig konvertiert und seinem Schwiegersohn ausgeliefert - das ist die Restauration feudaler Obrigkeit.
So also erfährt der Jude den Preis für seine behauptete Emanzipation. Daß Antonio, dem andeutungsweise eine homosexuelle Vergangenheit anhängt, von der launischen aristokratischen Clique an den Rand gedrängt wird, ist eine andere Geschichte und gehört zum Happy-End auf Belmont.
Zadek hat für diesen Tanz auf dem Vulkan wunderbare Schauspieler gefunden, die das Geheimnis ihrer Rolle wohl kennen oder erahnen und niemals ganz preisgeben: Gert Voss, Ignaz Kirchner, Julia Stemberger, Christian Fries, Eva Mattes, F.K. Praetorius, Uwe Bohm, Wiebke Frost, Urs Hefti, Martin Schwab, H.D.Knebel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen