: Der Schatten der Bajonette wird immer länger
In den Slums von Perus Hauptstadt Lima organisiert die legale Linke den Widerstand gegen die Diktatur/ Zur Imagewahrung kündigt Fujimori einen „nationalen Dialog“ an/ Als Staatschef wird er im Ausland nicht überall anerkannt ■ Aus Lima Ralf Leonhard
„Nieder mit der Fujimori-Diktatur“ steht auf einem Spruchband an der Fassade des Rathauses von Comas. Comas ist einer der proletarischen Außenbezirke Limas, wo die legale Linke den Bürgermeister stellt und dem wachsenden Einfluß der maoistischen Untergrundorganisation Sendero Luminoso zu trotzen versucht. Vor dem Gebäude steht eine Menge Leute unschlüssig herum und schielt mißtrauisch auf einen Panzerwagen der Anti-Aufruhr-Polizei, der an einem Ende des Platzes Position bezogen hat. Am anderen Ende stehen zwei Militärlaster voll mit Soldaten, die Sturmgewehre schußbereit nach außen gerichtet. Bürgermeister Humberto Paredes hat es unter diesen Umständen vorgezogen, einen Protestmarsch in die Innenstadt abzublasen und im Versammlungssaal zu den Demonstranten zu sprechen. Die Bürgermeister der benachbarten Bezirke sind mit ihren Leute gar nicht erst gekommen.
Paredes weiß, zu wem er spricht: „Fujimori will keine Opposition, wenn er die Arbeiter massenweise entläßt.“ Von den rund 500.000 Einwohnern von Comas haben seit Fujimoris Amtsantrtt 20.000 ihren Job verloren. 40.000 Kinder werden nicht mehr in die Schule, sondern auf die Straße geschickt, um dazuzverdienen. „Mit Reformen im Justizwesen und im Parlament sind wir einverstanden“, meint Paredes, „aber der Krongreß ist nicht verantwortlich für den Hunger.“
Jeden Morgen erscheint vor dem Justizpalast in der Innenstadt Pilar Nordes, die Ehefrau des untergetauchten Ex-Präsidenten Alan Garcoa, um eine Habeas-Corpus-Verfügung zum Schutz ihres Mannes zu erwirken. Regelmäßig wird sie von den Sicherheitsorganen am Eingang abgewiesen, letzten Dienstag sogar mit Tränengas. Der als Publicity-Show inszenierte Auftritt beweist, daß das Rechtswesen seit Fujimoris Putsch überhaupt nicht funktioniert. Vielmehr besteht der Verdacht, daß belastendes Material gegen die Fujimori- Clique vernichtet werden soll. Ganze Lastwagenladungen von Dokumenten sind aus den Archiven abtransportiert worden.
Fujimori hat alle Konstrollinstanzen ausgehebelt und zuletzt auch die vom Volk gewählten Regionalregierungen, die als große demokratische Errungenschaft der vergangenen Regierung gelten, aufgelöst. Jetzt regiert er auch in der Provinz über die von der Exekutive eingesetzten Präfekten. In den Kriegsgebieten haben die Militärs lange schon freie Hand, aber jetzt können deren Übergriffe nicht einmal mehr bei Gericht angezeigt werden.
Zwar zitiert Fujimori täglich neue Meinungsumfragen, die seine wachsende Popularität bescheinigen sollen. Doch gleichzeitig wirkt er in seinen jüngsten öffentlichen Auftritten deutlich unsicherer. Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag gab er zu, daß er die internationalen Auswirkungen seiner Maßnahmen unterschätzt hätte: „Das nächste Mal brauche ich wohl einen Image-Berater.“ Überraschend kündigte er einen großen nationalen Dialog mit allen politischen und sozialen Kräften an, der am 1.Mai beginnen soll, relativierte diese Gesprächsbereitschaft aber durch die Drohung, alle, die sich seiner Politik wiedersetzten, hätten mit „energischen Maßnahmen“ zu rechnen.
Weiter soll die Justizreform in zwei Monaten vollzogen sein, die Kommunalwahlen sollen planmäßig am 8.November stattfinden. Die Opposition in Lima sieht dieses deutliche Zurückstecken als Reaktion auf die Position der Organisation der Amerikanischen Staaten, die dem De-facto-Regime eine fünfwöchige Frist für die Rückkehr zur Verfassungsmäßigkeit eingeräumt hat. Die Rio-Gruppe, in der alle lateinamerikanischen Demokratien zusammengeschlossen sind, hat Perus Mitgliedschaft suspendiert und Venezuelas Carlos Andres Perez fror am Mittwoch die diplomatischen Beziehungen ein. Die Ausschüttung von mehr als 800 Millionen Dollar an Krediten aus den USA, Europa und multilateralen Finanzsituationen ist ausgesetzt. Der spanische Senat anerkennt den bisherigen Vizepräsidenten Maximo San Roman als legitimen Staatschef, der die Opposition Montag vor der OAS vertrat und nächsten Dienstag unter dem Schutz der Interamerikanischen Menschenrechtskommission einreisen will. In seiner Abwesenheit hatte der aufgelöste Kongreß den zweiten Vize Carlos Garcia zum interimistischen Präsidenten ernannt.
San Roman ist ein Mann aus dem Andenhochland, der fließend Quechua spricht und Fujimori weit gefährlicher werden könnte als die diskreditierten Parlamentarier. In einem Interview, das Donnerstag in einer Sonderausgabe des kritischen Wochenmagazins 'Caretas‘ veröffentlicht wurde, erklärt San Roman, er wisse einen Teil der Armee hinter sich. Um Sympathiekundgebungen zu vermindern, hat Fujimori in Erwartung seiner Ankunft den Zugang zum Flughafen drastisch eingeschränkt.
Fujimori und sein Team haben den Wirtschaftsbossen ein Investitionsprogramm nach dem Vorbild Chiles unter Pinochet in Aussicht gestellt. Die bevorstehenden Reformen des Arbeitsrechts werden mit dem Streikrecht und der Jobsicherheit aufräumen. Akkumulierte Devisenreserven von fast 1,4 Milliarden Dollar würden es dem Staat erlauben, vier bis fünf Monate Kreditboykott der ausländischen Geldgeber durchzustehen. Bis dahin müßten ein paar vorzeigbare Erfolge bei der Bekämpfung des Drogenhandels und strategische Schläge gegen Sendero auch die USA von der Effizienz des Regimes überzeugen.
Verhandlungen mit den Parteien, wie sie die OAS wünscht, werden deswegen voraussichtlich nur taktischen Charakter haben. Einen Pakt aller politischen Kräfte zur Terrorismusbekämpfung und für eine konsensfähige Wirtschaftspolitik hätte Fujimori längst haben können. Der ehemalige Premier Torres y Torres Lara hatte wochenlang an einem solchen Bündnis geschmiedet, bis er erkannte, daß der Präsident gar nicht an dessen Zustandekommen interessiert war. Für die Zustimmung der Bevölkerung sind einzig wirtschaftliche Verbesserungen ausschlaggebend. Wenn diese, wie die Opposition allgemein erwartet, ausbleiben, dann muß Fujimori entweder abtreten oder sich allein auf die Macht der Bajonette verlassen.
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