Der Roman „Palast der Schatten“: Melodram mit Lerneffekt

Die Hamburger Autorin Dagmar Fohl erzählt eine Liebesgeschichte, die während der frühen Jahre des Kinos spielt. Das gerät manchmal arg schmalzig, ist aber gut recherchiert.

Ein Klassiker der Stummfilmzeit: Fritz Langs "Metropolis" aus dem Jahr 1927. Bild: dpa

BREMEN taz | 1914 hießen Filme noch nicht Filme, sondern „Films“. Die Hamburger Autorin Dagmar Fohl hält diese Terminologie in ihrem Roman „Palast der Schatten“ konsequent durch, um zu zeigen: Diesem Buch ging eine sorgfältige Recherche voraus, um fundiert erzählen zu können von den frühen Jahren des Kinos.

Der Roman ist wie ein Film strukturiert: Es gibt fünf „Akte“ und keine Kapitel. Eingerahmt werden sie von einem Vor- und einem Nachspann. Beide verwenden Zitate aus den „Flüchtigen Notizen“ von Maxim Gorki, in denen er seinen Besuche in einem Kino der Gebrüder Lumière in Nischni Nowgorod beschreibt, das er das „Reich der Schatten“ nennt.

Der wichtigste Spielort dieser Geschichte ist ein kleines Kino in einer nicht konkret benannten deutschen Großstadt. Das Kino erinnert an die ersten Kinos, die noch mehr von Jahrmarktsbuden als von Theatern hatten. Betrieben wird es von dem jungen Filmerzähler Theo. Gezeigt wird dort jeweils ein gemischtes Programm von kurzen „Films“, die dem eher proletarischen Publikum von Theo mit dem Zeigestab in der Hand erklärt werden.

Wichtig ist dabei auch die musikalische Begleitung, die ursprünglich das laute Rattern der Projektoren überdecken sollte, sich dann aber schnell zu einem wichtigen Ausdrucksmittel für Emotionen entwickelte. So trifft Theo auf Clara, eine junge Pianistin, die gerade in der Stadt eingetroffen ist und ein Talent dafür hat, sich so in die Bilder auf der Leinwand einzufühlen, dass diese durch ihre Improvisationen auf dem Piano viel eindrucksvoller auf das Publikum wirken.

Die fremde Stadt

Die beiden werden schnell zu einem Liebespaar, dem aber nur wenige glückliche Tage vergönnt sind: Clara hat ein dunkles Geheimnis, das sie zur Flucht in die fremde Stadt getrieben hat. Außerdem bricht der erste Weltkrieg aus und Theo wird eingezogen. Die beiden werden für eine lange Zeit getrennt. Danach ist dann nichts mehr wie vorher.

Es ist ein wenig Etikettenschwindel, wenn der Gmeiner Verlag das Buch als einen „historischen Kriminalroman“ vermarktet. Es gibt zwar eine kriminelle Tat, der Clara sich schuldig gemacht hat, und wegen der sie in der ständigen Angst lebt, entdeckt zu werden. Aber dies ist ein eher unbedeutender Nebenstrang der Erzählung. „Palast der Schatten“ ist keine Kriminalgeschichte, sondern ein Melodram, in dem die Schrecken des Krieges die große Liebe der beiden Helden bedrohen.

So etwas muss mit einem gewissen Pathos erzählt werden, und Dagmar Fohl zieht dann auch alle Register des romantischen Genres. Dabei sind ihr ein paar Stilblüten unterlaufen wie zum Beispiel: „Das Klavier drohte zu zerspringen. Die Tasten weinten vor Schmerz.“ Aber weil sie so detailreich und überzeugend schildern kann, wie der Krieg das Leben der beiden verändert, folgt man der Geschichte gerne.

Am genauesten gearbeitet ist der Roman immer dann, wenn in ihm das damalige Filmmetier beschrieben wird. Dieses war, wie so häufig, gerade in einer Umbruchzeit. Die kleinen Kinos wurden langsam durch Filmtheater in den bürgerlichen Stadtvierteln verdrängt. Dort wurden 1914 immer mehr Langfilme mit Zwischentiteln gezeigt, während in den ärmeren Stadtteilen die Leute noch lieber in Kinos wie das von Theo gingen, weil sie schlecht oder gar nicht lesen konnten und die langen Filme mehr Eintritt kosteten.

Bilder von nebenan

Fohl fand einige Details, die auch Filmkenner überraschen dürften. So waren die Betreiber dieser kleinen Kinos oft auch selber Filmemacher, die mit einer Kamera Aufnahmen von der Nachbarschaft machten. Die wurden vom Publikum sehr geschätzt, weil sie so zum ersten Mal bewegte Bilder von etwas ihnen Bekanntem sahen.

Zum Teil zitiert Fohl auch aus Originaldokumenten wie zum Beispiel Verleih-Katalogen. Dabei kann man lernen, dass in Friedenszeiten Filme mit Titeln wie „Die letzte Zuflucht“ oder „Das falsche Weib“ erfolgreich waren, Filme, die oft in Frankreich produziert wurden. Während des Krieges wurde dann gegen das „Film-Franzosentum“ polemisiert und es wurden vor allem krude Propagandawerke gezeigt, die „Es braust ein Ruf wie Donnerhall“ oder „Durch Pulverdampf und Kugelregen“ hießen.

Neben dem Erklärer und Musiker gab es in diesen Kinos oft auch einen Geräuschmacher. Fohl beschreibt, wie dieser im Stil von Monty Python mit zwei Kokosnusshälften das Getrappel von Pferden nachmachte.

Manches aber hat sich kaum verändert: So wurde damals „bei rasenden Zügen und Gewitter“ oft und gerne die Ouvertüre zu Rossinis „Wilhelm Tell“ gespielt. Genau diese Musik konnte man vor ein paar Wochen bei den Actionszenen auf einem rasenden Zug in dem Kinoflop des Jahres „Lone Rider“ hören.

Dagmar Fohl: „Palast der Schatten“, Gmeiner Verlag, 243 Seiten, 12,99 Euro Premierenlesung mit Filmausschnitten: Hamburg, Speicherstadtmuseum, Freitag, 20. 9., 19.30 Uhr; Weitere Lesung: Wentorf, Oxhoft Weinladen, Donnerstag, 26. 9., 19.30 Uhr
Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.