Der Richter, den die Hardliner hassten

JUGENDSTRAFRECHT Der Hamburger Jugendrichter Joachim Katz ist bis zur Pensionierung seinen Prinzipien treu geblieben. Jugendrecht ist für ihn Spezialprävention zur Erziehung

■ Jahrgang 1948, studierte 1970 bis 1977 Jura in Tübingen. 1980 bis 1986 war er Jugendstaatsanwalt in Hamburg, seit 1986 Richter am Bezirksjugendgericht Hamburg. Katz engagierte sich im Komitee zur Rettung der besetzten Häuser in der Hafenstraße und war Vorsitzender der Regionalgruppe der Vereinigung der Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen. Ende vergangenen Jahres ging er in den Ruhestand.

VON KAI VON APPEN

Die Jugend-Kriminalitätszahlen sind rückläufig. Dennoch vergeht kaum ein Monat, ohne dass in Fernseh-Talkshows oder anderen Medien Einzelfälle hochstilisiert werden und eine härtere Gangart der Justiz mit straffälligen Heranwachsenden verlangt wird. Keine Milde, keine Ermahnungen oder Arbeitsauflagen, Trainingskurse und Wiedergutmachungsleistungen – stattdessen Jugendstrafen ohne Bewährung und bereits frühzeitig abschreckender Jugendarrest. Auch manche Jugendrichter warnen vor einer Verharmlosung der Jugendgewalt, Tenor: „Schluss mit der Sozialromantik.“

Der Hamburger Jugendrichter Joachim Katz hat dabei nie mitgemacht. „Es ist keine neue Diskussion, die gibt es schon seit 15 Jahren“, sagt Katz. Es habe sich nichts daran geändert, dass im Jugendstrafrecht der Erziehungsgedanke im Mittelpunkt stehe und den Vorrang habe. „Damit stehe ich ja nicht allein, das sagen auch Fachleute.“

In der Tat ist die These, härtere Strafen schützten besser vor Kriminalität, durch jugendkriminologische Erkenntnisse nicht gestützt. Dennoch ist Joachim Katz oft ins Visier der Medien geraten, als „Kuschelrichter“ oder „Überzeugungstäter“ wurde er sogar zur Zielscheibe der Politik: Als die rechtskonservative Koalition 2001 in Hamburg an die Macht kam, übernahmen der Rechtspopulist und Richter Ronald Schill und der Justizhardliner und Bundesanwalt Roger Kusch (CDU) die Ämter des Innen- beziehungsweise Justizsenators. Sie hatten sich die „Zerschlagung des Kartells strafunwilliger Verständnispädagogen“ vorgenommen. Zuvor hatte auch Interims-Innensenator Olaf Scholz (SPD) öffentlich die niedrige Quote an Jugendhaftstrafen kritisiert.

Daher war es Kuschs erste Maßnahme, das damalige Bezirksjugendgericht, das für alle Jugenddelikte in Hamburg zuständig war und dem nur Vollzeit-Jugendrichter angehörten, zu zerschlagen und Jugendabteilungen an den Stadtteilgerichten aufzubauen, wo Richter sowohl für Erwachsenen- als auch für Jugendstrafrecht zuständig waren. „Das war eine absolute Katastrophe“, erinnert sich Katz. „Das Bezirksjugendgericht hatte damals bundesweit Vorbildfunktion.“ Seine Proteste nützten nichts, er selbst wurde bis zu seiner Pensionierung Jugendrichter am Amtsgericht Hamburg-Altona.

„Dass seit Jahren die Jugendkriminalität rückläufig ist, kommt bei den Medien, aber auch bei der Politik selten an“, sagt Katz. Es müsse aber bei straffälligen Jugendlichen immer ausgelotet werden: „Was funktioniert, was funktioniert nicht? Was müssen wir machen, damit er es nicht wieder tut? Welche der uns zur Verfügung stehenden Mittel funktionieren, um einen Jugendlichen auf einen Weg ohne Straftaten zu führen?“

Anders als im Erwachsenen-Strafrecht, das auf Tatschuld-Vergeltung und damit rein auf Strafe basiert, setzt das Jugendgerichtsgesetz auf Spezialprävention durch Erziehung. Denn oft liegen die Hauptursachen für Gewalt in Gewalterlebnissen in der Familie. Wenn der Jugendliche Gewalt durch den Vater erlebt hat und dann das Gericht sich vom Abschreckungsgedanken leiten lässt, dann ändert sich nach Katz’ Erfahrung nichts am Verhalten des Jugendlichen. „Wirksamer ist eine Überzeugung des Angeklagten davon, dass Gewalt in keinem Konflikt eine Lösung anbietet“, sagt Katz.

Schon Katz’ Vater war Jugendrichter in Lübeck „Ich bin schon als Jugendlicher gern zu Verhandlungen gegangen“, sagt er. Auch seine Zeit in der offenen Jugendarbeit war für ihn lehrreich „Man lernt, wie Jugendliche in dem Alter ticken.“ Nach dem Studium war Katz zuerst Jugendstaatsanwalt, bis er 1986 Jugendrichter wurde.

Für Katz gibt es im Jugendstrafrecht kein Patentrezept. „Die Politik neigt immer zu einfachen Lösungen“, sagt er. „Hart verfolgen ist dann die einfachste Lösung. Dass das nichts bringt, will dann später niemand mehr hören.“ Er habe dagegen die Erfahrung gemacht, dass Bewährungsstrafen Jugendliche zwar nicht gänzlich abgehalten hätten, wieder Straftaten zu begehen, aber die Rückfallquote zu schweren Straftaten wesentlich geringer sei. „Das ist ja auch schon ein Teilerfolg“, sagt Katz.

Das bedeute nicht, dass man die Jugendlichen streicheln solle. „Ich habe in den Hauptverhandlungen schon immer mit drastischen Worten klargemacht, was ich von den Taten und dem Verhalten halte“, sagt Katz. „Oft schämt sich dann ein Jugendlicher, wenn er als Angeklagter wiederkommt.“