piwik no script img

Der Renten-Erfinder

■ Vor 200 Jahren starb Justus Möser

Im Dezember 1767 fordert ein Autor in den „Wöchentlichen Osnabrückischen Anzeigen“ die Einführung einer „Invalidenkasse für bejahrte Bediente“. Die Dienstboten sollten jedes Jahr einen Taler einzahlen, damit sie auf ihre alten Tage versorgt wären. Damals war diese heute als Rentenversicherung geläufige Idee etwas grundsätzlich Neues. Der Autor Justus Möser war ein bedeutender Vertreter der deutschen Aufklärung, zugleich ein Multitalent des 18. Jahrhunderts: Zeitungsherausgeber, Schriftsteller, Historiker, Jurist und Staatsmann in einer Person. Der eng mit seiner nordwestdeutschen Heimat verbundene Möser starb am 8. Januar vor 200 Jahren in seiner Vaterstadt Osnabrück.

Dort war er am 14. Dezember 1720 als Kind einer angesehenen Bürgerfamilie auch zur Welt gekommen. Studien des Rechts in Jena und Göttingen beendete er 1743 ohne Examen. Die damals verbreitete Vetternwirtschaft ließ Möser in seiner Heimatstadt dennoch schnell ein Auskommen vornehmlich als Advokat des Adels finden. Das kleine Fürstbistum Osnabrück war damals in der zerklüfteten politischen Landschaft des Deutschen Reiches eine Besonderheit: Es wurde abwechselnd von einen katholischen und einem evangelischen aus dem Hause Braunschweig-Lüneburg stammenden Fürstbischof regiert. Als König Georg III. von England 1764 seinen Sohn Friedrich von York im zarten Alter von sechs Monaten zum Fürstbischof wählen ließ, schlug die große Stunde Mösers: Von nun an bis zu seinem Tode lag die Regierung als Vertreters Georg III. praktisch in seinen Händen.

Mit Fingerspitzengefühl und diplomatischem Geschick führte der Jurist die Regierungsgeschäfte zwischen den Interessen der verschiedenen Stände und Konfessionen. Neben dieser Arbeit widmete sich Möser seiner literarischen und publizistischen Leidenschaft. In den 1766 von ihm gegründeten „Osnabrücker Intelligenzblättern“ veröffentlichte er eine Fülle von Aufsätzen. Humorvoll und klug klärte er die Leser über vielerlei Zusammenhänge des täglichen Lebens auf. Vom Vorgehen beim Hüten der Schweine bis zur Erläuterung von Verordnungen der Regierung reichte die Themenpalette. In den „Patriotischen Phantasien“, Mösers vierbändigem Hauptwerk, sind die Essays zusammengefaßt.

Sogar der Geheime Rat zu Weimar Johann Wolfgang von Goethe fand Gefallen an den in unverwechselbarer Manier geschriebenen Beiträgen Mösers. Der Dichterfürst aus Weimar sprach vom „herrlichen Justus Möser“, in dessen Aufsätzen „die innigste Kenntnis des bürgerlichen Wesens im höchsten Grade merkwürdig und rühmenswert“ sei.

Leidenschaftlich machte sich Möser für eine eigenständige deutsche Literatur stark. In seinem 1781 veröffentlichten Aufsatz „Über die deutsche Sprache und Literatur“ wandte er sich entschieden dagegen, in deutscher Schrift und Sprache nur das französische Vorbild nachzuahmen. Dies hatte Friedrich der Große der als rückständig abqualifizierten deutschen Literatur wie vor ihm Johann Christoph Gottsched empfohlen. Möser hielt dagegen: „Der Kopie fehlt immer die innere Wahrheit.“

Als Historiker machte er sich weit über die nordwestdeutsche Provinz hinaus mit seiner „Osnabrückischen Geschichte“ einen Namen. Nicht der Stoff an sich war von größerer Bedeutung, sondern seine Aufarbeitung. Möser wollte nicht, wie damals üblich, die Geschichte eines Herrscherhauses schreiben, sondern die einer Region und vor allem seiner Menschen im alltäglichen Leben. Was heute als Sozialgeschichtsschreibung immer größere Bedeutung erlangt, hatte der Aufklärer aus dem Norden bereits Mitte des 18. Jahrhunderts vorgemacht. Das Werk nahm auf die zeitgenössischen literarischen Strömungen großen Einfluß. Die Vorrede zu dem Geschichtswerk Mösers veröffentliche Johann Gottfried Herder 1773 in der Programmschrift der Sturm-und- Drang-Bewegung „Von deutscher Art und Kunst“.

Zum Ende seines Lebens hatte der Bürger und Staatsmann Möser den Publizisten und Künstler in sich immer mehr aufgezehrt. Möser, der zeitlebens nie eine gefestigte Gesundheit besaß, brachte einen zunehmend skeptischen Grundton in seine Spätwerke. Ein Revolutionär war er nie. So rechtfertigte er die Leibeigenschaft, jedoch nicht ohne bei den Grundherren für die Einführung von Pachtverhältnissen statt der Erbuntertänigkeit zu werben. dpa

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen