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Das PortraitDer Reformer

■ Anatoli Tschubais

Seine Hartnäckigkeit und nicht zuletzt eine unbedingte Loyalität zu Boris Jelzin haben sich für Anatoli Tschubais nun doch noch ausgezahlt. Vor zwei Tagen ernannte der russische Staatschef den 41jährigen zu seinem Stabschef und Chefberater. Damit rückt Tschubais in den inneren Machtzirkel des Kreml auf.

Im Januar hatte Boris Jelzin den Absolventen des St. Petersburger Instituts für Ingenieurwesen und Wirtschaft vom Posten des Ersten Vizepremiers für Wirtschaft gefeuert. Zu diesem Zeitpunkt war Tschubais, dessen Name wie kein anderer für liberale Wirtschaftsreformen und ein umfangreiches Privatisierungsprogramm steht, schon seit langem Zielscheibe von Angriffen der Opposition.

Nach einer Tätigkeit als Wirtschaftsberater des liberalen St. Petersburger Bürgermeisters Anatoli Sobtschak wurde Tschubais 1991 in Moskau Vorsitzender des Staatskomitees für die Verwaltung des Staatsvermögens. In der Folgezeit, ab Herbst 1992, wurden unter seiner Leitung mehr als 100.000 Betriebe privatisiert.

Das brachte ihm von seiten der Kommunistischen Partei Beschimpfungen wie „Agent des Auslands“, „Zerstörer der Volkswirtschaft“ und „Auskäufer der russischen Heimat“ sowie die Forderung nach Rücktritt ein.

Dessenungeachtet machte Jelzin Tschubais im November 1994 zum Ersten Vizepremier.

Nach den Duma-Wahlen vom vergangenen Dezember jedoch, bei denen die Kommunisten die meisten Stimmen erhielten, zog Boris Jelzin aus Angst vor einer Niederlage bei den Präsidentenwahlen die Konsequenz: Tschubais mußte gehen.

Doch im Gegensatz zu anderen exponierten Vertretern politischer und wirtschaftlicher Reformen in Rußland, wie Jegor Gaidar und Grigori Jawlinski, fiel Tschubais zwar in Ungnade, aber genauso schnell wieder auf die Füße. Als die Bemühungen der Falken im Kreml, Jelzins Wahlkampf effektiv zu organisieren, nicht so recht fruchteten, berief der Präsident kurzerhand Tschubais zu seinem Wahlkampfmanager.

Mit Wirtschaftsfragen gedenkt sich Jelzins neuer Chefberater künftig nicht zu beschäftigen. Statt dessen will sich Tschubais um Personalpolitik kümmern und den Justizapparat auf Trab bringen. Barbara Oertel

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