: „Der Rechtsweg ist eine Illusion“
Rolf Henrich, DDR-Rechtsanwalt mit Berufsverbot, ist Mitbegründer des „Neuen Forums“ ■ I N T E R V I E W
taz: Das DDR-Innenministerium hat am Montag gegenüber zwei Initiatorinnen des Neuen Forums die Zulassung der Gruppe abgelehnt und eine unverzügliche Einstellung der Aktivitäten verlangt. Wird das Neue Forum sich daran halten?
Rolf Henrich: Der Vorwurf der Staatsfeindlichkeit wurde zurückgenommen. Statt dessen hieß es, daß kein gesellschaftliches Bedürfnis für solche Organisationsform bestehe. Wir sagen: Wenn 5.000 DDR-Bürger ihre Unterschrift unter den Aufruf gesetzt haben, dann ist das ein Beweis für das gesellschaftliche Bedürfnis. Weitere rechtliche Schritte werden wir aber gegenwärtig nicht unternehmen, da das Recht der DDR hinsichtlich der Gründung von Vereinigungen derzeit keinen wirksamen Rechtsschutz kennt. Wir würden Mißverständnisse produzieren und Rechtsillusionen hervorrufen. Selbst wenn der Gerichtsweg offen wäre für uns, ist es eine Illusion, zu glauben, daß ein Kreisgericht eine Entscheidung des Ministerium des Innern aufheben wird. Gesellschaftliche Änderungen werden nicht im Gerichtssaal durchgesetzt.
Die 'Berliner Zeitung‘ wiederholt den Vorwurf der Staatsfeindlichkeit und bezeichnet das Neue Forum gar als „Fünfte Kolonne“.
Wir haben nur zum Dialog aufgerufen. Wenn das staatsfeindlich ist, dann ist es mit dieser Republik am Ende. Nur der Dialog kann den Schäden unseres gesellschaftlichen Organismus abhelfen. Welche Therapie soll es denn sonst geben? Doch keine Waffen!
In Scharen strömen Menschen zum Neuen Forum. Nur was finden sie außer einem Türschild?
Natürlich, es gibt keine Riesenorganisation im Moment. Aber das ist auch unsere Chance. Ich bitte Sie ganz eindringlich: Geben Sie uns ein bißchen Zeit. Wenn wir von unten anfangen wollen, dann dürfen wir den Leuten nicht wieder irgendetwas überhängen. Hier stehen doch schon die Intellektuellen Schlange, die wieder ZKs bilden wollen. Wir sagen: Anfangen müssen die Hausfrau, die Gaststättenleiterin, der Arbeiter, die jetzt kommen. Wir können ja nicht den vormundschaftlichen Staat zurücknehmen wollen und uns gleichzeitig zu neuen Vormündern aufschwingen. Man muß die ganze Kümmerlichkeit des Nullpunktes ertragen.
Interview: Knud Rasmussen
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