Der RAF-Mord an Jürgen Ponto: Zerstörung des Familiären
RAF-Frau Susanne Albrecht half beim Mord am eigenen Patenonkel. Albrechts Schwester Julia und Pontos Tochter Corinna haben zusammen ein Buch über die Folgen geschrieben.
Am 30. Juli 1977 verschafft Susanne Albrecht einem RAF-Kommando Zutritt zum Wohnhaus des Bankiers Jürgen Ponto. Sie ist die Tochter seines Jugendfreundes, er wird bei dieser Aktion erschossen. Nun haben Corinna Ponto, die Tochter des Opfers, und Julia Albrecht, die Schwester der einen Mittäterin, ein Buch geschrieben über dieses Ereignis, das sie und ihre Familien gleichzeitig trennt und verbindet. Fast noch erstaunlicher als die Autorengemeinschaft ist die Erkenntnis nach der Lektüre: Diese vehement private Perspektive ist absolut adäquat.
In seinem Buch über den Apostel Paulus zitiert Alain Badiou das Jesus-Wort: "Ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter." Er zitiert es als notwendige Abnabelung, als Aufbruch zu jenem Universalismus, der alle beengenden partikularen Bindungen und Identitäten hinter sich lassen soll. In dem Moment, wo Susanne Albrecht durch die Gegensprechanlage der Pontos sagte "Ich bin es, Susanne" und damit die Türe öffnete, vollzog sie auf eine pervertierte und blutige Weise ebendiese Abnabelung: Der Radikalismus war das Durchbrechen von all dem, was Familie bedeutet. Diese Geschichte ist gewissermaßen das symbolische Zentralereignis der RAF. Wenn Julia Albrecht über ihre Schwester schreibt, "Susanne war RAF", dann muss man sagen: Sie ist in dem Moment an der Klingel dazu geworden.
Corinna Ponto fragt an einer Stelle des Buches, wie ein ehemaliger RAF-Terrorist reagierte, wenn sein eigenes Kind Opfer des "internationalen Terrorismus" würde? Die Frage verkennt das, was das Buch offensichtlich macht: Terrorismus heißt Absage an das Familiäre. Ein politischer Terrorist, der ein Kind hat (das er nicht verlässt), ist keiner.
Susanne Albrecht zeigte aber auch, dass es der RAF nicht reichte, die Familie zu verlassen, es ging darum, das familiäre Prinzip zu zerstören. Der Verrat war wirkungsvoller, als es der Vatermord hätte sein können. Den eigenen Vater zu erschießen, wäre ein innerfamiliärer Akt. Der Verrat am Freund des Vaters hat eine private Geschichte in eine blutige öffentliche verwandelt.
Was aber bedeutet das Buch zweier Angehöriger in diesem Zusammenhang? Natürlich ist dieses Buch eine Tathandlung. Es spricht nicht nur von etwas, sondern vollzieht gerade dadurch auch etwas - nicht Versöhnung, aber ein Überwinden der Gräben. Corinna Ponto brauchte sicherlich viel Kraft für diesen Weg. Julia Albrecht aber brauchte viel Mut, um die Familienauflösung, die die Tat bedeutete, zu beenden. Dazu musste sie den Akt der Schwester, das Familiäre ins Öffentliche hin zu überschreiten, ein Stück weit wiederholen. Denn in der Familie ließ sich dieses monströse Geschehen nicht überwinden.
Was für ein paradoxes Unternehmen! Julia Albrecht musste sich öffentlich zur Tat ihrer Schwester positionieren. Sie ist schonungslos in ihrer Zerrissenheit zwischen dem Bedürfnis, ein Mitglied der eigenen Familie zu schützen, und der absoluten Offenheit gegenüber dem Verhalten der Schwester. Nach der Tat gab es nicht mehr die Möglichkeit, die geschwisterliche Liebe einfach weiterzuleben. Es konnte keine blinde Verteidigung der Schwester mehr geben. Aber es konnte auch keine Verurteilung ohne Versöhnung geben, denn das wäre ja die Fortsetzung des RAF-Prinzips, der Zerstörung des Familiären, gewesen.
Es brauchte also den unmöglichen Balanceakt, die Tat der Schwester zu verurteilen und die Schwester gleichzeitig nicht zu verraten. Mit diesem Buch ist das gelungen. Es zeigt, dass die vehemente persönliche Perspektive die angemessene politische Antwort auf dieses Geschehen ist. Das Familiäre musste wiederhergestellt werden. Nur so kann der abgebrochene Familienroman, der zugleich ein Kapitel der deutschen Geschichte ist, weitergeschrieben werden.
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