Der Psychopath als FBI-Chef

Ein halbes Jahrhundert lang zog J. Edgar Hoover die Fäden bei der US-amerikanischen Bundespolizei / Er war korrupt, verklemmt, paranoid, haßte Linke, Juden, Schwarze, Schwule und kollaborierte mit der Mafia  ■ Von Manfred Kriener

Er liebte Steak medium und grüne Schildkrötensuppe. Das Rindfleisch ließ er sich frisch aus Colorado einfliegen. Wenn er verreiste, ließ das FBI auf der Fahrstrecke sämtliche Toiletten auf ihren sauberen Zustand prüfen. Er trug gerne cremefarbene Anzüge und sang als Knabe im Kirchenchor. Er sprach wie ein Maschinengewehr und lebte in ständiger Angst vor Bazillen. Er war einer der populärsten, mächtigsten und gefährlichsten Männer der USA: J. Edgar Hoover, 48 Jahre lang Chef des amerikanischen FBI, der berühmteste Polizist der Welt, eine Legende schon zu Lebzeiten. Und er war ein Psychopath, der erpreßte und denunzierte, der mit der Mafia kollaborierte, der Juden und Schwarze, Linke und Liberale haßte und verfolgte. Er war korrupt, verklemmt und paranoid.

Der irische Journalist Anthony Summers hat auf 500 Seiten eine aufregende Biographie von „J. Edgar Hoover – der Pate im FBI“ vorgelegt. 850 Zeitzeugen sollen für das Buch interviewt, 100.000 Dokumente gesichtet worden sein. Die Recherchen sollen fünf Jahre gedauert haben. Zumindest in ihrer Sammelneurose sind sich der Autor und sein Sujet offenbar nähergekommen. Trotz dieses Papierkriegs ist es ein faszinierendes Buch geworden.

Summers begnügt sich weitgehend mit der Rolle als Chronist, der nur selten nach psychologischen Erklärungsmustern sucht. Das erspart die übliche Küchenpsychologie. Seine saftige Chronik holt den Leser direkt ins Zentrum der amerikanischen Machteliten, wo Hoover zwischen Weißem Haus und Justizministerium, zwischen Medien und Mafia seine Kreise zieht. Das ausgeprägte Interesse des FBI-Chefs gilt stets der Frage, wer mit wem in Washington schläft. Immer wieder nimmt der Leser auf der Bettkante von sieben US-Präsidenten Platz, die J. Edgar Hoover während ihrer Amtszeit erlitten haben. Hoover wußte über die endlosen Sex-Affären und Macht-Affären der Kennedys und Roosevelts, Nixons und Johnsons bestens Bescheid, er wußte „alles über jeden“ (Nixon). Und er nutzte dieses Wissen, um sich, längst vergreist und größenwahnsinnig, bis ins hohe Alter von 77 Jahren an der Macht zu halten. Über jeden neuen Kongreßabgeordneten legte Hoover eine Akte an, sammelte und sortierte jeden Kleinkram. Insgesamt 13.500 „mißliebige Personen“ wurden von seinen Leuten ständig überwacht. Die Präsidenten, allen voran Nixon, Johnson und Kennedy, hatten panische Angst vor Hoover, keiner traute sich, den alten Mann zu entlassen. Sie handelten nach derselben Devise: „Wenn sich ein Stinktier in deiner Nähe herumtreibt, dann ist es besser, es im Zelt zu haben und nach draußen pissen zu lassen, als daß es draußen ist und ins Zelt pißt“ (Lyndon B. Johnson). Also wurde Hoover immer wieder mit überschwenglichem Lob im Amt bestätigt. Doch alle wußten, daß er „nicht mehr bei Verstand war“, so Nixons Staatssekretär im Justizministerium, Kleindienst.

Ein Schlüssel zu Hoovers Persönlichkeit ist seine – verheimlichte – schwule Identität. Der FBI-Chef lebte mehr als 40 Jahre lang mit seinem Stellvertreter Clyde Tolson zusammen, mimte aber nach außen den heterosexuellen Normalbürger und maskulinen Helden. Mehr noch: Hoover produzierte sich als Tugendwächter, führte Feldzüge gegen Pornographie und Sex, er hielt den Amerikanern glühende Moralpredigten. Und er verfolgte und denunzierte die Schwulen. Hoover ordnete an, Gruppen, die für homosexuelle Rechte eintraten, im ganzen Land zu ermitteln, er ließ ihre Mitglieder erfassen, fotografierte ihre Demonstrationen und zeichnete ihre Reden auf – 23 Jahre lang, ohne jedes Recht. Hoover gelang es, mit seinem eigenen sexuellen Konflikt zu leben, „indem andere den Preis bezahlten“, so Summers.

Noch intensiver jagte Hoover die Kommunisten. Als Kommunisten galten alle liberalen und freien Geister, Gewerkschafter und Studenten, Kriegsgegner und Schwarze, Intellektuelle, Kritiker und unabhängige Journalisten. Die Überwachung ihres Umgangs und Sexuallebens wurde zu seiner Manie. Eines seiner prominentesten Opfer war der Schwarzenführer Martin Luther King, den er sieben Jahre lang, bis zu dessen Ermordung, mit einer Hetzkampagne überzog. Hoover hielt King für einen „Kater mit zwanghaft abartigen Trieben“, seine Wanzen verfolgten King in jedes Hotelzimmer. Selbst in Oslo, bei der Verleihung des Friedensnobelpreises, wurde er illegal überwacht. King hatte viele Liebesaffären, entsprechend wuchs die Tonbandsammlung des FBI. Die Aufzeichnungen von Parties und Bettgeflüster spielte Hoover der Presse zu, er ging regelrecht damit hausieren. Am Tag nach Kings Ermordung ging der höchste Polizeibeamte der USA gut gelaunt zum Pferderennen.

Hoover hielt das FBI im Status der Apartheid. Bei einer Agentenzahl von mehr als 6.000 waren im Jahr 1962 ganze 13 farbige Agenten beschäftigt. J. Edgar mochte keine Schwarzen und keine Juden, er mochte aber auch keine Agenten mit Glatze und keine Dicken. Als er aus Gesundheitsgründen eine Abmagerungskur begann, ordnete er an, daß sämtliche FBI- Agenten zu wiegen seien. Übergewichtige wurden amtlich zur Gewichtsabnahme verdonnert, notorisch Dicke strafversetzt. Wie konnte sich solch ein Mensch ein halbes Jahrhundert an der Spitze des FBI halten? Hoover war einer der ersten großen Medienstars, der seine eigenen spärlichen Erfolge im Kampf gegen das Verbrechen glänzend inszenierte. Darüber hinaus fütterte er die Zeitungen immer wieder geschickt mit Material und Stories aus seinen überquellenden Aktenschränken. Er kontrollierte eine Fernsehserie über das FBI und ließ unter seinem Namen Bücher über den Einsatz der G-men schreiben. So entstand der Mythos des FBI, wurde Hoover zum Superman, der jeden Präsidenten an Popularität übertraf. Die Präsidenten selbst wurden von ihm erpreßt, wenn sie an eine Wachablösung an der FBI-Spitze dachten. Und sie waren erpreßbar: Kennedy mit seinen Marilyns; Nixon mit Watergate und seinen kriminellen Einbrüchen bei politischen Gegnern; Johnson, weil er das FBI von Beginn an als seine private politische Stoßtruppe benutzte.

Es fügt sich wunderbar in dieses Konglomerat politischer und moralischer Obszönität, daß auch Hoover selbst erpreßt wurde. Die Mafia besaß kompromittierende Fotos von ihm, auf denen er im Frauenkleid mit Federboa in eindeutiger Pose agierte. Hoover arrangierte sich mit der Mafia, er ließ sie in Frieden, bestritt ganz einfach ihre Existenz. Privat war der ranghöchste Polizist der USA eng mit der Kommonadostruktur der Organisierten Kriminalität verbunden. Die OK gab Hoover wertvolle Tips für seine Pferdewetten, lud ihn in ihre Hotels ein und feierte bizarre Sexparties mit ihm.

Hoover starb 1972. Auf die Enthüllung seiner Machenschaften, schreibt Norman Mailer über Summers' Buch, „haben wir vierzig Jahre lang gewartet“. Richard Nixon gab zwei Kommentare zu Hoovers Tod. Einen inoffiziellen: „Ach du lieber Himmel, dieser alte Schwanzlutscher (ist tot)!“ Und einen offiziellen: „Amerika hat diesen Mann verehrt.“ Nixons Mitarbeiter Tom Huston sagte: „Er war der letzte regierende Monarch in der westlichen Welt.“

Anthony Summers: „J. Edgar Hoover – der Pate im FBI“. Verlag Langen Müller, 492 S., 58 DM