: Der Proportionalstaat sucht einen Präsidenten
■ Im Libanon rangeln die Konfessionen um einen neuen Staatspräsidenten / Aus Beirut Petra Groll
Im Libanon ist Warten angesagt. Wer immer eine Sache bei den Behörden vorantreiben will, wer ein größeres Geschäft abschließen möchte - er wird vertröstet: „Warten wir doch bis nach den Wahlen, sehen wir im Herbst weiter.“ Ein Nachfolger für Staatspräsident Gemayel wird gesucht. Und wählen soll ihn ein Parlament, das seit 1972 amtiert und von dessen ursprünglich 99 Abgeordneten gerade noch 76 am Leben sind. Und das in einem starren System, das alle Posten streng nach Proporz unter den 17 konfessionellen Gruppen verteilt.
Am 23.September soll Sheik Amine Gemayel nach sechs Jahren Amtszeit den Präsidentenpalast von Ba-abda räumen. Und nur noch zwei Wochen sind es bis zum 23.August: dann soll sein Nachfolger gewählt sein. Doch bis heute steht noch nicht einmal fest, wann der erste Wahlgang stattfindet. „Zwischen dem 15. und dem 22.“, heißt es aus dem Büro des Parlamentssprechers Hussein al Husseini, der die Sitzung einberufen muß.
Fest steht bisher lediglich der Ort des Geschehens: Die „Villa Mansour“, ein Privathaus, das genau auf der „grünen“ Demarkationslinie zwischen dem moslemischen West- und dem christlich bewohnten Ostteil Beiruts liegt. Gleich neben dem sogenannten „Museumsübergang“, der einzigen Stelle, an dem derzeit Bürger wie Diplomaten von einem Teil der Hauptstadt in den anderen überwechseln können. Seit nämlich zu Beginn des Bürgerkrieges 1975 der alte Parlamentssitz am „Platz der Kanonen“ im alten Stadtzentrum zur heißen Kampfzone wurde, gehört die Legislative zu den libanesischen „Muhajeriin“, den nach Hunderttausenden zählenden Kriegsflüchtlingen.
In der „Villa Mansour“ haben seitdem einige Parlamentssitzungen stattgefunden, doch die beiden Präsidentschaftswahlen von 1976 und 1982 mußten aus Sicherheitsgründen vor die Stadtgrenze verlegt werden: 1976 wurde in der von der syrischen Armee kontrollierten Beqaa -Ebene gewählt, sechs Jahre später trommelte man die Abgeordneten in einer Kaserne der libanesischen Armee nordöstlich von Beirut zusammen - in einem Gebiet, das die mit Israel verbündete Phalange kontrollierte. Dementsprechend wurde 1976 mit Elias Sakis ein pro-syrischer Kandidat zum Präsidenten, und 1982 mit Beshir Gemayel ein pro-israelischer Kandidat gewählt.
Die großen Wähler dieses Jahres, soviel ist klar, sind Syrien und die USA. (Israel kann sich getrost bedeckt halten, weiß es doch seine Interessen in den Händen der USA einigermaßen gewährt.)
Syrien kontrolliert mit seiner 35.000-Mann-Truppe bis zu zwei Drittel des libanesischen Territoriums (Israel hält seinerseits 1/10 im Süden besetzt) und ist damit die stärkste Kraft im Libanon. In der Befürchtung, Syrien werde den Weg für einen Präsidenten ebnen, der den Libanon letztendlich zu einer syrischen Provinz macht, wandten sich die libanesischen Maroniten diesmal an die USA. Verhandlungen zwischen den USA und Syrien vermochten wenigstens die gröbsten Risse zu kitten, nachdem Syrien und seine Alliierten im Libanon - die moslemische und linke Opposition - Präsident Gemayel seit Frühjahr 1986 vollständig boykottieren. Gemayel hatte damals das „Drei -Parteien-Abkommen“ abgelehnt, einen von Syrien unterstützten Reformplan, der den libanesischen Bürgerkrieg beenden sollte.
Der Prälat der maronitischen Gemeinde, der größten christlichen Glaubensgruppe im Libanon, die über das Privileg verfügt, den Staatspräsidenten zu stellen, hatte im Juli dieses Jahres bereits eine ausgiebige Tour durch die USA unternommen. Nasrallah Sfeir war mit Präsident Reagan, dessen Vizepräsidenten Bush und Außenminister Shultz zusammengetroffen.
Am vergangenen Wochenende nun besuchte US-Staatssekretär Murphy Beirut und Damaskus. Hauptthema: die kommenden Präsidentschaftswahlen im Libanon. In Beirut wurde der Besuch Murphys als „Startschuß“ für die letzte Phase der Wahlperiode interpretiert.
Beiruter Zeitungen wollten am letzten Wochenende erfahren haben, daß Murphy mit einer Liste von sechs potentiellen Kandidaten nach Damaskus gereist sei. Zwei davon als Idealpräsidenten (von den Maroniten in Ostbeirut abgesegnet) und vier weitere. Über die Ergebnisse der insgesamt 17 Verhandlungsstunden, die Murphy in Damaskus hinter sich brachte, wurde am Wochenanfang heftig spekuliert. „Die Abgeordneten werden den Namen des Favoriten in allerletzter Minute erfahren“, meinten hämisch die Fachkommentatoren der Medien, sie selbst wissen halt auch nicht mehr.
Murphys Sprechblasen beim Aufbruch aus Damaskus schillerten zwar rosig-zuversichtlich. Doch ob er sich mit dem syrischen Regime auch einigte, ist nicht sicher. Nach Korrespondentenberichten verschiedener Beiruter Blätter steht auch der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, Vernon Walters, notfalls zu einem Blitzbesuch bereit.
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