■ G7-Gipfel – ein gutgemeinter Versuch, Jelzin zu helfen: Der Präsident hat mitgeglänzt
Wahlzeiten sind Schauzeiten. Daß dies jetzt auch in Rußland so ist, ist ein beredter Beleg der allmählichen Normalisierung – trotz all der angestrengten Versuche, notorische Besonderheiten und Unfähigkeiten der russischen Menschen zu entdecken. Die Jelzins und Sjuganows sonnen sich ebenso gerne im Lichte internationaler Staatsmänner wie ihre Kollegen im Westen. Und daß ein Russe dabei gerade stehen und frei reden kann, mag auch das Wahlvolk gerne haben.
So gesehen hat sich der Siebener-Gipfel in Moskau gelohnt: Der amtierende Präsident hat mitgeglänzt, sein schärfster Rivale ist etwas angeleuchtet worden (Demokratiegebot), und die Gäste aus West und Ost haben ihren eigenen Menschen wieder einmal ihren guten Willen zur Unterstützung des „Reformprozesses“ gezeigt. Da es dort aber nicht um Reformen geht, sondern um den seit langem laufenden und jetzt beschleunigten Durchbruch zu einer etwas ziellosen Moderne, scheint das Gipfelresultat trotz guter Beschlüsse, aber in Abwesenheit realer Ergebnisse in Nuklearfragen eher bescheiden.
Doch ging es ja nicht wirklich und vorrangig um die Reaktoren. Bis der Nuklearschrott in der GUS von den Netzen genommen wird, bedarf es wohl eines weiteren Zwischenfalls. Ein zehnjähriges Jubiläum wird jetzt ja überall begangen. Was wir sehen durften, war ein gutgemeinter und etwas unbeholfener Versuch der industriell fortgeschrittenen Staatsmänner, dem einzigen russischen Politiker gutzutun, den sie kennen und dessen Namen sie aussprechen können. Die List der Zeit will es, daß das auch vernünftig ist: Wenn sich nüchterne Reformer und unappetitliche Stabilisatoren, vor allem die bisherigen Reformgewinnler, einerseits und drängelnde Umverteiler mit allen Zukurzgekommenen und Staatsrentenabhängigen andererseits gegenüberstehen, kann man von einem Machtwechsel wenig Konstruktives erwarten. Alle dritten Optionen sind nicht zu backen: Die Gajdars und Jawlinkis haben nach Lage der Dinge im Elektorat keine reale Chance.
Im Westen haben Gesellschaften wie Regierungen das Recht, Sympathien zu pflegen und auszudrücken. Aber auch die Pflicht, keine Illusionen zu nähren und keine gefährlichen Spiele zu fördern. Wenn der Siebener-Ausflug nach Moskau den Stabilisatoren hilft, war er also nützlich. Dabei sollten die Zähne zusammengebissen sein. Das ist Realpolitik. Und hier ist sie richtig. Klaus Segbers
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