Der Präsident ärgert sich über seine Geldgeber

■ Michael Camedessus fordert von den Industrieländern die Öffnung ihrer Märkte für Dritte-Welt-Importe

Der Präsident ärgert sich über seine Geldgeber Michael Camedessus fordert von den Industrieländern die Öffnung ihrer Märkte für Dritte-Welt-Importe

Eine halbe Sekunde lang hatte es nach einer Sensation geklungen. „Ich werde Ihnen sagen, wie groß die Quote für die Sowjetunion sein soll“, strahlte IWF-Direktor Michel Camdessus vom Podium herunter, „zehn Prozent.“ Zeitversetzt, je nach der Geschwindigkeit der Simultanübersetzung, stockte den Presseleuten der Atem. Die schnellsten fingen schon an, auszurechnen, ob den USA ihre Sperrminorität verloren gehen würde, wenn die Stimmrechte im IWF zugunsten der UdSSR umverteilt werden. Dann feixte Camdessus: „Zehn Prozent für die UdSSR. Zehn Prozent der Zeit dieser Pressekonferenz.“ Schmunzeln im Saal, selbst bei den notorischen Nörglern.

Das Limit hatte Camdessus aber nicht nur gesetzt, weil er es leid war, immer wieder eine Frage gestellt zu bekommen, auf die die IWF-Expertenkommission in den ersten vier Tagen ihrer Arbeit in Moskau noch keine Antwort gefunden hat: Wieviel Hilfe braucht die SU? Camdessus war zugleich daran gelegen, etwas gegen den Eindruck zu unternehmen, die absolute politische Dominanz des IWF-Weltbank-Jahrestreffens liege bei den Diskussionen um die Zukunft der Sowjetunion. Andererseits, räumte er freimütig ein, habe er schon damit gerechnet, daß er damit zumindest bei den Medienleuten aus den Industrieländern nicht durchkommen würde — seine afrikapolitischen Vorstellungen habe er deswegen schon vor sechs Wochen in der ugandischen Hauptstadt Kampala formuliert.

Dieser unausgesprochene Vorwurf an die Nachrichtenindustrie des Nordens saß: erst die Peitsche, dann das Zuckerbrot. Als doch noch ein Nigerianer nach dem ausbleibenden Marshallplan für Afrika fragte, bekam die Weltjournaille dennoch etwas zum Mitschreiben: Gegen Marshallpläne für Afrika, Osteuropa oder die UdSSR habe er nichts, zog Camdessus den eleganten Schlenker zurück in den Osten. Schließlich habe der Marshall-Plan nach dem Zweiten Weltkrieg drei Novitäten enthalten: erstens einen gezielten Kapitalstrom, zweitens die verkopplung mit Auflagen, und drittens die wirtschaftspolitische Koordinierung über einzelne Ländergrenzen hinweg. In diesem Sinne, so Camdessus begeistert, sei er durchaus für Marshallpläne. „Was wir jeden Tag machen, ist schließlich, die Bedingungen für solche Pläne zu schaffen.“

Die allerdings, so ist hier immer wieder von IWF-Offiziellen zu hören, ergäben sich praktisch von alleine, wenn die Blockaden beseitigt werden, die vor allem die armen Länder von der Nutzung ihrer Potentiale abhalten. So bekamen denn auch die industrialisierten Länder von Camdessus erneut den obligaten Vorwurf zu hören, sie sollten nicht länger ihre Grenzen gegenüber Importen aus den armen Ländern sperren. „Wir haben 44, 45 Länder, die ihre Märkte geöffnet haben“ — nur die des Nordens nicht. Womit, nach der hilflosen Ermahnung an die Verhandlungsparteien des Freihandelsabkommens Gatt, wieder der Bogen zum Ex-Ostblock gespannt war. „Unerläßlich“, so Camdessus, sei die Liberalisierung insbesondere für diese Transitionsländer.

Auch der soeben veröffentlichte „World Economic Outlook“, quasi das offizielle Positionspapier des IWF, spricht Klartext: „Die zwei Schlüsselelemente dieser Hilfe von außen — verbesserter Zugang zu den Märkten der Industrieländer und finanzielle Unterstützung — müssen einander ergänzen. Wachsende Auslandsmärkte werden benötigt, um es diesen Ländern zu erlauben, mittels ihrer eigenen Exporte für einen Teil der Rekonstruktionskosten zu bezahlen.“ Gemeint war einmal mehr der Beschluß der EG gegen zunehmende Agrarimporte aus dem Osten: „Aber jüngste Entwicklungen waren nicht ermunternd.“ Dabei sei dieser Zugang, ungewohnter Superlativ, von der „allergrößten Bedeutung“. Eine Beschwörung, die dennoch nicht weiterhilft. Schließlich können die Industrieländer hervorragend damit leben, daß der IWF auf der einen Seite so mächtig ist, die Länder der Zweiten und Dritten Welt zur Öffnung ihrer Märkte zu zwingen, andererseits aber zu schwach dafür, seine Hauptgeldgeber zu parallelen Maßnahmen zu veranlassen.

So findet auch eine neue Behauptung des IWF ihre äußerst begrenzte Reichweite. Die Abwärtsbewegung in Osteuropa, wo das Bruttosozialprodukt in diesem Jahr noch um 12 Prozent fallen soll (nach sieben Prozent 1990), werde bald enden; 1992 werde das Bruttosozialprodukt dort sogar wieder leicht ansteigen, heißt es im „Outlook“. Diese Prognose wird kaum zu überprüfen sein — der überraschende Aufwärtstrend gilt schließlich nur unter der Voraussetzung, daß der Handelszugang zum Westen gestattet wird.

Mag sich der IWF in Zugzwang gegenüber den Industrieländern sehen, weil Dutzende von Mitgliedsdelegationen aus der Dritten Welt auf den Nord-Protektionimus weisen: Zu einer Stärkung des IWF gegenüber der Gruppe der sieben reichsten Länder (G-7) wird es nicht kommen. Vielmehr macht sich mancherorts die Befürchtung breit, die Politik von Weltbank und IWF könnte noch mehr von den G-7-Ländern und den USA bestimmt werden als es jetzt schon der Fall ist.

Paradoxerweise soll dafür die SU der Auslöser sein: Das US-Außenministerium und die Militärpolitiker drängen darauf, vornehmlich die Zentrale in Moskau zu stärken, um die Entwicklung einigermaßen unter Kontrolle zu halten. Vornehmlich der Sowjetunion und nicht den Einzelrepubliken solle deshalb der ökonomische Rücken gestärkt werden.

Doch das starke Interesse der USA an der IWF-Politik gegenüber der UdSSR muß derzeit noch nicht heißen, daß die politischen Wünsche Washingtons vom Währungsfonds sklavisch erfüllt werden. Zumindest spielt Camdessus auf Zeit: Bevor die Expertenkommission nicht ihre Titanen-Aufgabe erfüllt habe, eine ausreichende Datenbasis für die Vollmitgliedschaft zu beschaffen, könne er gar nichts weiter machen. Im übrigen werde die Sowjetunion ohnehin erst aufgenommen, wenn das Verhältnis zwischen Zentrale und Republiken auf eine Weise bestimmt sei, mit der der IWF arbeiten könne — sprich, wenn ein Wirtschaftsvertrag geschlossen ist, der diesen Namen auch verdient.

Dafür, daß die UdSSR-Politik des Westens weiterhin von den G-7 bestimmt wird, spricht aber auch, daß zunächst einmal hier die Verantwortlichkeiten ausdiskutiert werden. Dies ist auch der Grund, warum so gespannt auf die Ergebnisse der G-7- Treffen in den nächsten Tagen hier in Bangkok geschaut wird. Schließlich hat die EG ihr 2,4-Mrd.-Dollar- Winterhilfe-Paket vom Wochenbeginn nur geschnürt, wenn zur Gesamtsumme von 7,3 Mrd. Dollar auch die USA und Kanada sowie Japan jeweils ihr Drittel beitragen. Kurz vor der Tagung hat deshalb das als geizig gescholtene Japan noch nachgebessert und ein 2,5-Mrd.- Hilfsprogramm aufgelegt.

Unklar ist allerdings, wie die Auftritte des japanischen Premiers Kaifu und seines Finanzministers Hashimoto zu bewerten sind: Ersterer muß nach dem Gipfel zurücktreten, weil ihn seine Partei zu Fall brachte, letzterer, weil in die japanischen Finanzskandale verwickelt. Sind die Rücktrittstermine so gewählt, um in Bangkok weitere Zusagen zu vermeiden? Camdessus kann sagen, was er will, wo die G-7 tagen, spielt die Musik. Einstweilen sitzt er im Zuschauerraum. Gerne. Dietmar Bartz, Bangkok