: „Der Pokal, das ist doch nur die Kür“
Auch nach dem sensationellen Erreichen des Halbfinales durch ein 1:0 gegen den VfL Bochum liegt den Verantwortlichen des Amateurvereins 1. FC Union Berlin die Konzentration auf den Zweitligaaufstieg mehr am Herzen
BERLIN taz ■ „Er ist ein wohl erzogener, netter junger Mann aus Süddeutschland“, charakterisierte Heiner Bertram den Abwehrspieler Daniel Ernemann. Dass der Präsident des 1. FC Union Berlin mit dieser Einschätzung nicht Unrecht hat, bewies der Amberger in den letzten Sekunden des Pokal-Viertelfinales gegen den VfL Bochum. Da wollte sich Ernemann beim Stande von 0:0 eigentlich schon mental auf die Verlängerung vorbereiten, als ihm Trainer Georgi Wassilew mitteilte: „Du musst nach vorne gehen.“ – „Was, ich?“, staunte der lang aufgeschossene Spieler, der sich sonst streng auf Abwehraufgaben zu beschränken hat. „Ja, du.“ Und weil Daniel Ernemann ein wohl erzogener Mensch ist, tat der 24-Jährige wie geheißen, stapfte in den gegnerischen Strafraum, fand dort plötzlich nach einem abgefeimten Freistoßtrick den Ball vor und trat ihn zur Begeisterung der 11.045 glücklich frierenden Zuschauer umstandslos ins Bochumer Tor. „Ich war überrascht, wie er dort gestanden hat“, kommentierte Wassilew seinen Geistesblitz, „so, als sei er das gewohnt.“
„Ich fühle mich wohl hier“, sagt Ernemann, der vom FC Augsburg kam. Sein Tor bringt nicht nur ihm eine verbesserte Ausgangsposition bei anstehenden Vertragsverhandlungen, sondern den seit Jahren am Tor zur zweiten Bundesliga postierten Köpenickern auch einen hübschen Geldsegen. Das Halbfinale im DFB-Pokal gegen Borussia Mönchengladbach, vermutlich am 6. Februar, wird live im Fernsehen übertragen und schaufelt rund 2,5 Millionen Mark in die Kassen. Die kann der Klub gut gebrauchen, denn Verstärkungen sind nötig, um den Aufstieg in der schwierigen Regionalliga Nord zu schaffen, wo das Team derzeit auf Rang vier liegt. „So einen Erfolg wie heute vergessen die Leute schnell“, weiß der bulgarische Trainer Wassilew, „sie erwarten von uns die zweite Liga.“
Auch für Heiner Bertram ist klar: „Der Pokal, das ist doch nur die Kür.“ Viel wichtiger sei: „Wir müssen da raus.“ Da – das ist die Regionalliga, „wirtschaftlich eine katastrophale Liga“, in der nach Meinung des Union-Präsidenten noch einige Klubs in finanzielle Schwierigkeiten geraten werden im Laufe dieser Saison. Dass seinem Klub Ähnliches nicht passiert, dafür sorgt schon Geldgeber Michael Kölmel, der Filmmagnat. „Wir haben klare Vorstellungen, was wir wollen, das war unabhängig vom heutigen Ergebnis“, sagte Bertram nach dem Spiel. Das Geld aus dem Halbfinale und einem potenziellen Finale im Berliner Olympiastadion bedeute nur, „dass wir weniger Kredit in Anspruch nehmen müssen.“
Der Stadionausbau wird im Februar abgeschlossen sein, wenn die gerade eingeweihte Flutlichtanlage eine neue überdachte Haupttribüne beleuchtet. Investiert wird jetzt ausschließlich in Personal. Vor allem ein treffsicherer Stürmer wird gebraucht, wie auch das Match gegen den Bundesliga-Letzten zeigte. Der Albaner Harun Isa, sonst Torschütze vom Dienst, war gegen Bochums Abwehrrecken völlig überfordert, und es handelte sich um keinen Zufall, dass ein Abwehrspieler wie Ernemann den erlösenden Treffer für die klar feldüberlegenen Berliner erzielte.
„Wir haben die Strukturen für die zweite Liga“, sagt Präsident Bertram, der für diesen Fall mit einen Etat von 13 Millionen Mark kalkuliert, von dem acht Millionen aus Fernsehgeldern kommen werden. Nun muss bloß noch der Aufstieg her, der in den letzten zehn Jahren auf mannigfaltige Art immer wieder verpasst wurde. Dass sich der 1. FC Union fußballerisch nicht vor höherklassigen Teams zu verstecken braucht, hat er im DFB-Pokal mit Siegen gegen drei Zweit- und einen Erstligisten eindrucksvoll bewiesen. „Ich betrachte Union ohnehin nicht als Amateurmanschaft“, sagte Bochums zerknirschter Coach Ralf Zumdick nach dem 0:1, „für mich gehören sie in die zweite Liga.“ Wenn der VfL weiter Leistungen wie die vom Mittwoch bietet, ist ein Treffen ebendort in der nächsten Saison keinesfalls ausgeschlossen. MATTI LIESKE
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