piwik no script img

Archiv-Artikel

Der Parasit im System

Kein Anschluss unter dieser Bombe: Peter Fuchs arbeitet daran, den Terror systemtheoretisch zu fassen – als Versuch, die Kommunikation selbst in die Luft zu jagen

VON MARKUS HEIDINGSFELDER

Systemtheorie ist eine Zumutung, auch und gerade im Zusammenhang mit Terror. Sie erlaubt es nicht, die Attentate und die Attentäter als das Böse, Fremde, Andere zu brandmarken. Sie unterscheidet auch keine zwei Gesellschaften, hier die gute, dort die böse – hier Ausgebeutete, dort Ausbeuter, hier Terrorisierte, dort Terroristen. Sie nimmt die Einheit der Differenz in den Blick, und das heißt: Sie begreift den Terror nicht als etwas, was von außen kommt. Sie ist eine Zumutung, wie gesagt.

Der erste Versuch einer systemtheoretischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen stammt aus dem Jahr 2002. Damals hatte Dirk Baecker in dem Band „Terror im System“ unterschiedliche Autoren gebeten, sich Gedanken über einen Angreifer zu machen, der sich selbst angreift – der mit seinen Angriffen das reproduziert und in Gang hält, was er zerstören möchte. Weshalb der Herausgeber vom Leser zunächst das Unmögliche forderte: Ja zu sagen zu den Verstümmelten, zur Zerstörung, zu den Resultaten des Terrors – denn nur die Zustimmung operiere auf der Höhe der Empirie. Schließlich detonieren die Bomben ja, gibt es kein WTC mehr, sterben täglich Menschen an den Folgen von Attentaten. Aber, Stichwort „Einheit der Differenz“: Auch das Nein zum Terror müsse man in den Blick nehmen. Erst der Blick auf beide Seiten erlaube es, nach der Funktion dieser Ambivalenz zu fragen. Baeckers Antwort: Terror im kommunikativen Zusammenhang wirke als Erpressung. Wer nicht dagegen ist, der ist dafür, wer nicht dafür ist, ist dagegen. You’re either with us or against us, dazwischen gibt es nichts. Mithilfe der von Luhmann entwickelten Theorie des Konflikts, die genau diese Operationalisierbarkeit, die hohe Integrationskraft von Konflikten beschreibt, den Konflikt als Parasiten auffasst, als eigenes System, das sich vom Wirt des Gesamtsystems nährt, beschrieb Baecker Terror als eine Art Bürgerkrieg: Die Gesellschaft terrorisiert sich selbst – Terror als ein Teil der Ordnung, gegen die er kämpft.

Auch Peter Fuchs gehörte – neben Fritz B. Simon, Peter Krieg, Norbert Bolz – zu den Autoren, die bemüht waren, zur „Komplizierung“ der Lage beizutragen, den Angreifer wie die Verteidiger zu internalisieren, um sie – in den Worten Dirk Baeckers – „nicht nur uns, sondern auch sich zu verrätseln“. Nun fragt Peter Fuchs in einer neuen, umfassenden Studie systematisch nach dem Status des Terrorsystems.

Auch hier ist der erste Schritt, das unmögliche Ja zum Terror zu wagen. Der Terror ist kein Sumpf, der trockengelegt werden kann, so Fuchs. Der Sumpf sei vielmehr die Gesellschaft selbst, die einen idealen Nährboden für diese „Pflanze“ bilde; diese Blume des Bösen profitiere von der Gesellschaftsform der funktionalen Differenzierung, die – sofern es sie gibt – dem Terror beste Bedingungen biete.

Die funktional differenzierte Gesellschaft ist laut Systemtheorie ein in viele verschiedene Teilsysteme zersplittertes Gebilde, in dem jedes dieser Systeme eine spezifische Funktion erfüllt, ein bestimmtes Funktionsmonopol besitzt. Nur eine Theorie, ohne Frage, aber keine schlechte. Denn wendet man sie an, stellt man schnell fest: Es ist was dran. Politik, Recht, Wirtschaft, alle operieren autonom und nach ihren eigenen Regeln, nehmen keine Rücksicht aufeinander – die Politik etwa beansprucht für sich ein Gewaltmonopol. Sie allein darf über Gewalt verfügen – weshalb sie so schnell irritiert ist, wenn andere dieses Recht in Anspruch nehmen. Nur deshalb kann sie jene „schuldig“ sprechen, die sich nicht entwaffnen lassen: Kriminelle – und Terroristen. Dass sie diese „Schuld“ durch das Verdecken ihrer eigenen erst kreiert, entgeht ihrem Blick. Warum darf sie, was andere nicht dürfen? Darum halt.

Der Terrorismus, folgert Fuchs, ist die Gewalt, die sich von der Gesellschaft nicht entwaffnen lässt, deren Gewaltmonopol nicht anerkennt. Noch wichtiger aber ist die Einsicht, dass Terror notwendig latent bleibt, an dieser Bedingung parasitiert, von ihr profitiert. Er ist die Alternative. Anarchie kennt keinen Terror, weil sie keine Latenzen kennt. Deshalb sprießt und gedeiht der Terror so gut.

Dabei könnte man es bewenden lassen. Fuchs aber geht noch einen Schritt weiter. Er will herausfinden, wie die Terrormaschine funktioniert, er fragt nach ihrem Wie, das er – wie es sich für einen Systemtheoretiker gehört – als Kommunikation, als bewusstseinsfreien Zusammenhang von Kommunikationen thematisiert. Was in den Köpfen von Terroristen vorgeht, kann man nicht wissen, also lässt man es lieber gleich und widmet sich der sozialen, nichtsingulären Kommunikation. Und die erscheint als Ordnung eines Zusammenhangs namens System, als spezifische Verkettung von kommunikativen Operationen (die auf den üblichen systemtheoretischen Schienen laufen, also autopoietisch, binär codiert etc.).

In „Terror im System“ hatte sich Fuchs der Frage gewidmet, warum Terror derart blindwütig unschuldige Opfer in Kauf nimmt. Seine damalige Einsicht: Terror trifft notwendig Unschuldige, denn die Gesellschaft – an die er seine „Botschaften“ ja adressiert – hat dummerweise keine Adresse. Als immaterieller Kommunikationszusammenhang ist sie nicht „erreichbar“, denn wie will man eine Kommunikation in die Luft jagen? Das Einzige, was man tun kann, ist, die unentwegte Verkettung von Kommunikationen (Fachwort: Autopoiese) zu stoppen. Terror folge daher einer „fatalen Logik der Umwegigkeit“, rechne notwendig auf die Umwelt des Sozialsystems um, und das heißt: auf Körper. Er sucht sich Ersatzadressen, Stellvertreter, geht über irgendwelche Leichen – er hat gar keine andere Wahl. So gesehen ist der Terrorakt dem Brief an den Weihnachtsmann äquivalent, der, anders als die Gesellschaft allerdings – Fuchs weist darauf hin –, hierzulande durchaus eine postalische Adresse hat.

Eine Idee von Dirk Baecker aufgreifend, fasst Fuchs den Terrorakt daher als Kommunikationsabbruch, als „ein ‚Und‘, das ein ‚Nein‘ ist“: die detonierende Bombe als ein kommunizierter Kommunikationsabbruch, als Äußerung, die Kommunikation stoppt und die Gesellschaft so zwingt, an diese „Unterbrechung“ anzuschließen, zu diesem plötzlichen Abbruch ein kommunikatives Verhältnis zu gewinnen. Dass Kommunikation selbst „nichts bringt“, hat nicht nur Bin Laden mit seinem Friedensangebot an Europa noch einmal erfahren müssen; George W. Bush ging es mit der UNO ja ähnlich („Quasselbude“). Der Abbruch von Kommunikation, das „Türenzuschlagen“ dagegen bringt eine Menge.

Zur Äußerung, und Fuchs betont diesen Punkt immer und immer wieder, wird der Terrorakt jedoch in dem Moment, in dem die Gesellschaft an ihn anschließt. Da ein Attentat, das nicht beobachtet wird (an das nicht angeschlossen wird), keines ist (bzw. nicht als Kommunikation thematisiert werden kann), müssen die Terroristen die Beobachtung von vornherein in ihre Überlegungen mit einschließen – sie müssen sie erzwingen. Die Gesellschaft soll zum Abbruch der Kommunikation ein Verhältnis gewinnen. Und je mehr Leichen es gibt, je spektakulärer die Resultate, desto heftiger die Reaktion der an Quantitäten interessierten Massenmedien, desto eher gelingt das Erzwingen von Beobachtung. Die Medien „verpassen dem System Terror Flügel“, so Fuchs, ermöglichen derart die von ihm dringend benötigten kommunikativen Anschlüsse. Je höher die Verluste, desto berichtenswerter das Ganze – eine fatale Logik der Eskalation beginnt zu greifen, denn sobald das Interesse ausdünnt, ist Terror zu Überbietungsleistungen gezwungen.

Wer systemtheoretisch fragt, bekommt systemtheoretische Antworten. Nur wenn man Gesellschaft als bewusstseinsfreien Kommunikationszusammenhang thematisiert, kann man behaupten, der Terrorismus folge einer Logik der Umwegigkeit; nur nach dieser Logik ist George W. Bush genauso unschuldig wie irgendein namenloses Opfer, weil Umwelt des Sozialsystems.

Man könnte deshalb einwenden, das „System Terror“ handle gar nicht vom Terror – sondern von Systemtheorie. Ein Vorwurf, der Peter Fuchs in der Tat oft gemacht wird: Einerseits habe er Luhmann erst zu sich selbst kommen lassen, andererseits Systemtheorie ins Aporetische getrieben. Kein Anschluss unter dieser Nummer – Fuchs als systemtheoretischer Terrorist, der in einem fort als „Und“ getarnte „Neins“ veröffentliche: Nein, über den Gegenstand selbst vermag ich nichts zu sagen. Es gibt ihn nicht. Er wird beobachtet. Die Frage ist nur: Von wem? Und wie? Dass er einem beim Lesen irgendwann abhanden kommt, ja sich zuletzt in Luft auflöst, ist also kein Zufall. Sondern die List des Autors, dem es darauf ankommt, die derart entstandene Unsicherheit produktiv zu machen: in die Erkenntnis zu verwandeln, dass der Terror, von dem die Massenmedien wie auch die selbst ernannten Terrorexperten – und selbst die Terroristen – so selbstverständlich sprechen, gar nicht existiert. In den Worten Maren Lehmanns: „Worauf immer Sie zeigen, Sie weisen auf sich selbst.“

Während man Fuchs dabei zusieht, wie er den Gegenstand für systemtheoretische Zwecke zurechtschneidet, wird einem klar, dass es die Durchsichtigkeit des Verfahrens selbst ist, die es legitimiert: Fuchs zeigt auf den Gegenstand Terror, indem er auf sich selber zeigt, den Systemtheoretiker Fuchs. Im Gegensatz zu all den anderen Terror-Theoretikern, die immer schon zu wissen vorgeben, was Terror ist, legt er die Karten auf den Tisch, thematisiert das „Ist“, indem er sein eigenes, systemtheoretisches Sein dagegenhält.

Mag sein, dass eine solche Theorie zuletzt wie in einem Spiegel nur noch sich selber sieht – und nichts anderes mehr. Aber in einem Fall, in dem jeder kommunikative Anschluss an Terrorakte als Erpressung fungiert, in ein entweder fanatisches, US-amerikanisches, oder sentimentalisches, aus Lichterketten bestehendes Nein gezwungen wird, hilft nur eines, so Fuchs: sich in den Windschatten des Konflikts zu setzen, um dort in aller Ruhe Haare zu spalten – mögen sie sich den andern auch noch so sträuben.

Peter Fuchs: „Das System ,Terror‘ “. Transcript Verlag, Bielefeld 2004, 120 Seiten, 13,80 Euro