■ Der Erfolg der PDS in Brandenburg kann nicht überraschen: Der Osten wählt rot
Auch wenn die Bild-Zeitung gestern mit der Schlagzeile „Schock! PDS so stark wie CDU“ ihre arme Leserschaft in Angst und Schrecken versetzte, überraschen konnte das gute Abschneiden der PDS bei den Kommunalwahlen in Brandenburg nur diejenigen, die sich beharrlich weigern, die Probleme und die Stimmung in der ehemaligen DDR zur Kenntnis zu nehmen. Wer hingegen die grassierende Arbeits- und Perspektivlosigkeit, die begründete Angst, bald die Miete nicht mehr bezahlen zu können, oder die alltägliche Demütigung, einer minderwertigen Ethnie anzugehören, ernst nimmt, konnte sich kaum wundern.
Auch wenn sich die PDS-Politiker gestern von ihrem guten Abschneiden selbst überrascht gaben, ist ihr Erfolg vor diesem Hintergrund noch eher bescheiden ausgefallen. Die SED-Nachfolgerin kann bei den Landtagswahlen des nächsten Jahres durchaus noch zulegen, und die Möglichkeit, bei der Bundestagswahl wenigstens die Fünfprozenthürde mit dem Erringen von drei Direktmandaten zu unterlaufen, ist eine ausgesprochen realistische Variante. Die Wahlen in Brandenburg haben in jedem Fall eines demonstriert: die PDS ist mehr als ein lästiges Relikt, das sich von den etablierten West-Parteien mit der klassischen antikommunistischen Rhetorik des Kalten Krieges aus den Parlamenten schwadronieren ließe.
Die Gründe für den Erfolg der PDS liegen auf der Hand: zum einen die tiefe Enttäuschung über die Kohl-Partei und die Ministergehälter-Affäre von Sachsen-Anhalt; zum anderen ist die PDS in Brandenburg die Partei, welche am eindeutigsten die sozialen Belange der einheitsgeschädigten Neubundesbürgerinnen und -bürger vertritt und sich gleichzeitig unzweideutig als Oppositionspartei profiliert hat. Die PDS hat deshalb auch vor allen anderen dafür gesorgt, daß die Rechtsradikalen es nicht geschafft haben, aus der Kumulation sozialer Katastrophen in den neuen Bundesländern Kapital zu schlagen.
Noch ein dritter Grund für den Erfolg der PDS: Sie verfügt mit Gregor Gysi über eine Galionsfigur, wie sie sich die anderen Parteien im Osten mit ihren West- Importen oder blassen Blockflöten nur wünschen könnten. Mit der jetzt im Westen gerne bemühten, die DDR-Vergangenheit verklärenden „Ostalgie“ hat der Erfolg der PDS wenig zu tun, mehr schon mit einer rationalen Einschätzung der Veränderung der eigenen Lebensverhältnisse. Vierzig Jahre DDR waren eben – trotz anhaltend anderslautender Regierungsverlautbarungen aus Bonn – nicht vierzig Jahre Sklaverei bei Wasser und Brot. In den noch nicht vollends erblühten Landschaften im Osten wird heute 50 Prozent weniger Elektrizität verbraucht als vor fünf Jahren. Das mag Ökologen erfreuen, die Ureinwohner eines solchen naturbelassenen Arbeitslosen-Parks sehen dies ein wenig anders.
Der Feind steht heute für viele Ostdeutsche im Westen, das fördert die Nachsicht gegenüber den einstigen Feinden, beziehungsweise deren Nachfolgern, im eigenen Land. Die PDS hat ihre Finanzskandale ausgesessen, inzwischen ist sie nicht mehr die millionenschwere SED-Erbin, sondern das Opfer der Treuhand, welche eine lästige politische Altlast auf ihre bewährte Weise abzuwickeln versucht.
Am signifikantesten ist der Erfolg des PDS-Kandidaten bei der Potsdamer Oberbürgermeisterwahl. Rolf Kutzmutz, alias IM „Rudolf“ kam in der Landeshauptstadt auf 43 Prozent, sein ärmlich amtierender SPD-Kontrahent Horst Gramlich mußte sich mit 30 Prozent bescheiden. Und das obwohl die SPD unter Führung von IM „Sekretär“ die vergleichsweise harmlose Stasi-Zuarbeit von Kutzmutz in den letzten Tagen des Wahlkampfes noch nach allen Regeln der Schlammschlacht auszunutzen suchte. Nach vier Jahren der vor allem von Journalisten und Politikern aus dem Westen forcierten Hexenjagd auf tatsächliche oder vermeintliche IM ist das Bekenntnis dazu inzwischen etwas, das von der Mehrheit im Osten zumindest akzeptiert, wenn nicht sogar honoriert wird – nach dem Motto: Er ist wenigstens einer von uns.
Angesichts des munter rumorenden Ost-West- konflikts im neuen Deutschland erhielt die CDU am Sonntag auch ihre Quittung dafür, daß sie Peter-Michael Diestel absägte und durch Ulf Fink, das Sinnbild des im Osten aus guten Gründen verhaßten dynamischen „Schlips-Wessis“, ersetzte. Aber auch mit geschickterer Personalpolitik und sogar ohne Kohl hätten es die Christdemokraten in Brandenburg schwer gehabt. Wer die Debatten der westdeutschen Linken über die DDR in den siebziger und achtziger Jahren rekapitulieren mag, der wird sich erinnern, daß es damals zum Common sense gehörte, von einer strukturellen sozialdemokratischen oder linken Mehrheit in der DDR zu sprechen. Nach einem opportunistischen und naiven Abstecher zur CDU hat sich diese Hypothese jetzt bestätigt. Der Osten wählt offenbar rot. Das ist fatal für die CDU. „Die roten Socken schwimmen auf der Protestwelle oben“, geiferte denn auch hilflos ihr Generalsekretär Peter Hintze. Wie gemein, und die schwarzen Schlipse der Kohl-Partei saufen ab. Michael Sontheimer
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